Einen Luftalarm zur Begrüßung erlebt man nicht bei jeder Reise. Aber man reist auch eher selten in ein Kriegsgebiet. Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader ist das kalkulierte Risiko trotzdem eingegangen – um eine Solidaritätspartnerschaft mit Sarata zu begründen. Sarata ist eine Siedlung in der südlichen Ukraine, mit etwa 5 000 Einwohnern. „Siedlung“ trifft es in doppelter Hinsicht, denn es waren deutsche Siedler, die 1822 den Ort in Bessarabien gründeten. Bis 1940 blieben ihre Nachfahren dort, bevor sie ins Deutsche Reich übersiedelten. Das wiederum ist der Beginn einer starken Verbindung zwischen den ehemals deutschsprachigen Einwohnern von Sarata und der Stadt Kirchheim: „Viele sind damals aus Sarata nach Kirchheim, Wernau und Wendlingen gekommen“, berichtet Pascal Bader und fügt hinzu: „Ganz viele Kirchheimer haben mir gesagt, dass ihre Eltern aus Sarata stammen.“
Seine Reise nach Sarata war nun möglich, indem er sich „angehängt“ hat an den Verein „Ermstal hilft“. Vor zwei Jahren gegründet, bringt dieser Verein seit Kriegsbeginn regelmäßig Hilfsgüter in die Ukraine. Vom Bedarf vor Ort konnte
sich Pascal Bader nun überzeugen. Und wieder hat dieser Bedarf mit den Luftangriffen zu tun: „Die Russen beschießen irgendein Ziel und warten dann, bis die Feuerwehr anrückt. Erst dann beschießen sie es noch einmal.“ Es geht sowohl darum, die Feuerwehrleute zu treffen, als auch darum, ihre Ausrüstung zu zerstören.

Für Pascal Bader ist die Hilfe in diesem Fall eher leicht: „Wenn es bei uns ausgemusterte Fahrzeuge oder sonstige Ausrüstungsgegenstände gibt, ist es nur noch eine Frage des Transports.“ Die Ukrainer seien dankbar für jegliches Material, das sie bekommen könnten. Dasselbe gilt für medizinische Geräte und für Medikamente. Ein Krankenhausbesuch hat den Oberbürgermeister auch in die entsprechenden Bunker geführt, in denen Notoperationen vorgenommen werden können.
Jede Schule braucht einen Bunker
Überhaupt war sein Besuch geprägt von Bunkerführungen: „Alle Schulen und alle Kindergärten müssen über einen Bunker verfügen, in maximal 100 Metern Entfernung. Sonst erlischt die Betriebserlaubnis.“ Kinder und Jugendliche müssten so schnell wie möglich in die Schutzräume gebracht werden. Viele Erwachsene dagegen neigten dazu, die ständigen Alarme zu ignorieren: „Irgendwann stumpft man da auch ab.“ Für Pascal Bader und seine Mitreisenden war es oft schwer einzuschätzen, ob das Besuchsprogramm fortgesetzt werden konnte oder ob möglichst schnell ein Bunker aufzusuchen war: „Die Warn-Apps haben wir uns alle ganz schnell auf unseren Handys installiert. Die Sirenen begleiten einen Tag und Nacht.“

Sarata liegt nicht allzu weit entfernt von Odessa, und dort gebe es nicht nur ständig Alarm, sondern auch einen ständigen Beschuss. Einige Mitglieder der Delegation seien in Odessa gewesen und hätten von den Druckwellen berichtet, die selbst in der Umgebung eines Einschlags Fenster und Türen bersten lassen. Er selbst habe das nicht erlebt. Er konnte auf diese Demonstration von praktischer Physik aber gerne verzichten.
Ein anderes Beispiel: „Wen man bei uns im Erste-Hilfe-Kurs lernt, wie man mit Verletzten nach einem Verkehrsunfall umgeht, lernt man dort den Umgang mit Schussverletzungen bei Kindern.“
Trotz allem gebe es im Alltag in und um Sarata durchaus so etwas wie eine „heile Welt“. Bei Kulturvorführungen wurde diese heile Welt nicht nur „vorgespielt“ für die Besucher. „Es ist wichtig für die Kinder, dass sie so normal wie möglich aufwachsen können. Deshalb sind auch ihre Bunkerräume fast immer ziemlich bunt eingerichtet.“ Vom Bildungssystem in der Ukraine zeigt sich Pascal Bader nachhaltig beeindruckt – nicht nur wegen der Kriegsbedingungen, die es mit sich bringen, dass die Abiturprüfungen von vornherein im Bunker stattfinden.
Gedenken an die Gefallenen
Dennoch bleibt der Krieg allgegenwärtig, auch wenn die Versorgung mit Lebensmitteln gut sei: „Überall gibt es Gräber oder Denkmäler für gefallene Soldaten. An jeder Schule wird an ehemalige Schüler erinnert, die im Krieg ums Leben gekommen sind, aber auch an die gefallenen Lehrer.“ Die Bürgermeister hätten die Aufgabe, die Todesnachrichten persönlich zu überbringen. Das Gedenken an die Toten sei ein wichtiger Bestandteil, um die Moral im Verteidigungskrieg weiter hochhalten zu können. Nach Berichten von Mitreisenden habe sich die Stimmung nämlich deutlich verschlechtert: „In der Ukraine erwartet niemand mehr, dass der Krieg schnell zu Ende gehen könnte.“
Schon allein der Besuch der Delegation aus Deutschland hatte eine große symbolische Wirkung: „Für die Ukrainer war es fantastisch zu sehen, dass wir diese Reise auf uns genommen haben.“ An praktischer Hilfe sieht Pascal Bader – außer der Lieferung von Gerätschaften – die Möglichkeit, Kinder aus Sarata in den Ferien nach Kirchheim zu holen, damit sie hier einige Tage in Frieden und Sicherheit verbringen können. Was die Ukraine am dringendsten braucht, kann Kirchheim aber nicht schicken: „,Wir kämpfen um unsere Freiheit’, sagen die Ukrainer, ,und dafür brauchen wir Waffen.’“