Das Frustrierendste an seiner Arbeit ist für Altenpfleger Dennis Wenzel der Zeitmangel. Er ist in der ambulanten Pflege tätig und hat eine klare Vorgabe für seine Patienten. Die „kleine“ Toilette mit Gesicht und Intimbereich waschen darf 20 Minuten dauern, die „große“ Toilette mit Ganzkörperpflege soll höchsten 30 Minuten in Anspruch nehmen. Zeit für Gespräche? Fehlanzeige. Der soziale Kontakt sei für die Menschen aber das Wichtigste, und wenn es Zeit für eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen gibt, seien sie stolz, etwas anbieten zu können. Dennis Wenzel mag seinen Job, aber er wünscht sich mehr Zeit und eine bessere Bezahlung.
Auch darum ist er in die Junge CDA eingetreten, die christlich-demokratische Arbeitnehmerschaft Deutschlands, um dort als pflegepolitischer Sprecher etwas bewegen zu können. Wenzel gehört zu den Podiumsgästen der Veranstaltung „Menschenwürdige Pflege heute und in der Zukunft“, die Manfred Benedikter, Kreisvorsitzender der CDA Esslingen und Bezirksvorsitzender der Junge CDA, und Cornelia Maria Zink, Vorstandsmitglied der Frauen Union Esslingen, Vorstandsmitglied der CDA Esslingen und Vorstandsmitglied der CDU Stadt Nürtingen, im Württembergischen Hof in Kirchheim veranstaltet haben.
Rund 30 Interessierte sind gekommen, um neue Impulse zu einem Thema zu hören, das zu den großen Problemen der Gegenwart gehört. Angesichts einer älter werdenden Bevölkerung bekommt die Frage, wer einen im Alter pflegt, und vor allem, wie man das bezahlen soll, eine immer größere Bedeutung. Betroffen ist im Grunde jeder.
Johannes Bauernfeind, Geschäftsführer der AOK-Gesundheitskasse Neckar-Fils, denkt daher bei diesem Thema nicht nur an die Mitglieder seiner Versicherung, sondern auch an sich selbst. „Bei der demografischen Entwicklung steht für meine Generation im Vergleich zu heute 50 Prozent weniger Pflegepersonal zur Verfügung, wenn ich alt bin.“ Es ist also höchste Zeit, gegenzusteuern. Dazu gehöre es, so Bauernfeind, dem Pflegeberuf mehr Geltung zu verschaffen, etwa durch einen höheren Akademisierungsgrad und die Gründung eines Berufsverbands. Zwischen den Zeilen ist die Skepsis herauszuhören, dass ohne eine Aufwertung des Berufsbilds das Sofortprogramm von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn greifen kann, 13 000 Pflegekräfte einzustellen.
Während Spahn selbst an diesem Abend nur per Video-Grußbotschaft zu sehen und zu hören ist, ist die pflegepolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion persönlich erschienen. Sabine Hartmann-Müller verweist auf die ausländischen Pflegekräfte. Deren Anerkennung als vollwertige Pfleger müsse schneller und unbürokratischer vonstatten gehen, meint die Politikerin. Auch die Weiterqualifikation innerhalb der Einrichtungen müsse vereinfacht werden. Bis 2030 werden allein in Baden-Württemberg 100 000 neue Pflegekräfte benötigt. Noch sind es zu 70 Prozent Familienmitglieder, die ihre Angehörigen pflegen, aber es werden stetig weniger.
Individuell zugeschnittene und flexible Lösungen sind gefragt, das kommt an diesem Abend heraus. Allein mit einer höheren Bezahlung von Pflegekräften, so der Tenor unter den Experten, ist dem Problem des Pflegenotstands nicht beizukommen. Pfleger Dennis Wenzel hält dagegen, dass ein Pfleger als Alleinverdiener keine Familie ernähren kann. In Baden-Württemberg verdiene man rund 1 700 Euro.
Rico Hann, Heimleiter des Asklepia-Seniorenzentrums Kirchheim, wünscht sich weniger Bürokratie. „Es muss mehr Freiheiten für Pflegeheime geben. Wir haben im Jahr fünf Kontrollen, ich muss unheimlich viele Anfragen beantworten und komme gar nicht dazu, mich um die Pflege zu kümmern“, sagt er. Für einen Platz in seiner Einrichtung muss ein Bewohner 2 200 Euro Eigenanteil bezahlen. Rico Hann räumt offen ein: „Eine Pflegekraft könnte sich das im Alter nicht leisten.“
Martina Fehrlen, Kreisvorsitzende der Frauen Union Esslingen und Bürgrmeisterin von Urbach, kritisierte die teilweise kaum umzusetzenden Bestimmungen aus der neuen Landesheimbauverordnung in Baden-Württemberg: "In Urbach kann dies dazu führen, dass wir unser Pflegeheim im Ort schließen müssen."
Mehr Geld, mehr Anerkennung und mehr Zeit - aber reicht das, um in absehbarer Zeit das Missverhältnis zwischen Pflegern und Pflegebedürftigen aufzuheben? Einen Gedanken bringt AOK-Geschäftsführer Johannes Bauernfeind noch in die Diskussion mit ein: das Thema Prävention. „Die Menschen werden immer älter und müssen sich auch fragen, was sie selbst tun können. Schon wenn die Pflegebedürftigkeit im Schnitt zwei bis drei Monate hinausgeschoben wird, bringt das eine deutlich Entlastung für das Pflegesystem.“