Es ist keine leichte Übung, das Innere nach außen zu kehren – gerade dann, wenn da draußen kaum jemand in der Lage ist, das eigene Innere zu verstehen. Die Kunst kann dafür ein Vehikel sein. Durch sie lassen sich Dinge zeigen, für die einem oft die Worte fehlen. Aber nicht nur das: Oft geht es nicht nur darum, durch Kunsttherapie Blockaden zu lösen oder neue Perspektiven zu bekommen. Manchmal entsteht dabei auch richtig gute Kunst.
Das ist der Grund, warum Dorothee Ostertag-Sigler vom Sozialpsychiatrischen Dienst der Diakonischen Bezirksstelle Kirchheim und Kurator Florian Stegmaier
eine Ausstellung auf die Beine gestellt haben: Unter dem Titel „innen-welten“ werden vom 16. Mai bis zum 30. Juni in der Galerie der Kreissparkasse, Alleenstraße 160 in Kirchheim, Arbeiten gezeigt, die Menschen mit psychischen Erkrankungen geschaffen haben.
Dorothee Ostertag-Sigler spricht von „Menschen aus unserem Klientelkreis“, die nicht gerade professionelle Künstler sind, die also ihre Werke normalerweise nicht ausstellen würden. „Es wäre aber schade, wenn niemand diese Werke sieht. Ziel der Ausstellung ist es, den Menschen einen Raum zu geben – und eine Möglichkeit, ihre Arbeiten zu präsentieren.“
Die Ausstellung verfolgt aber auch das Ziel, psychische Erkrankungen zu enttabuisieren: „Solche Erkrankungen sind immer eine große Herausforderung. Sie sind ein Teil der jeweiligen Persönlichkeit.“ Wichtig ist es für Dorothee Ostertag-Sigler, zu betonen, dass niemand sich seine Krankheit ausgesucht hat. Zudem gebe es ganz viele andere Dinge, die die Menschen mitbringen. Man dürfe niemanden auf seine Krankheit reduzieren. Die Kunstwerke bringen deshalb ganz andere Facetten einer Persönlichkeit ans Licht: „Es gibt da noch so viel mehr als nur die Krankheit im Sinne eines Defizits.“
Kurator Florian Stegmaier hat ein ganz anderes Defizit hinter sich: „Seit Februar 2020 konnte ich keine Ausstellung mehr in einem Raum gestalten.“ Der eine Grund dafür war die Pandemie, der andere die Tatsache, dass das Kornhaus als Sitz der städtischen Galerie geschlossen hat. Deshalb freut er sich umso mehr über diese außergewöhnliche Ausstellung, die mit der Vernissage am Montag, 15. Mai, um 19.30 Uhr beginnt.
Innenwelten mit ästhetischen Mitteln aufschließen
Fasziniert ist er von den gelungenen Beispielen, „Innenwelten mit ästhetischen Mitteln aufzuschließen“. Ein wichtiger weiterer Schritt wäre es für ihn, „solche Bilder einmal zu kontextualisieren“. Er selbst stellt einen wichtigen Kontext her, indem er über das Wesen der Kunst generell reflektiert: „Vielleicht gehört der Ausnahmezustand als solcher ja unabdingbar zur Kunst. Möglicherweise lässt sich anders gar nichts Schöpferisches gestalten – in der Malerei, in der Dichtung, in der Musik.“
Er hält es für „stimmig“, jetzt nach so langer Pause einmal eine ganz andere Ausstellung zu machen. Für ihn ist das auch eine Art von Kritik am kommerzialisierten Kunstmarkt: „Kunst wird häufig nicht mehr rezipiert, sondern eher konsumiert.“ Für die Ausstellung „innen-welten“ wünscht er sich also mündige Rezipienten, die sich mit den Werken auseinandersetzen und dabei gleichzeitig einen eigenen Beitrag zur Enttabuisierung psychischer Krankheiten leisten.