Kirchheim
Bläser ziehen Fazit: So geht‘s den Musikvereinen nach Corona

Kultur In der Pandemie wurde das Vereinsleben in den Blaskapellen des Kreises auf Null gefahren. Nun geht es seit einiger Zeit wieder aufwärts. Vor allem in die Jugendarbeit wird investiert. Von Rainer Kellmayer

Musizieren macht Laune, und besonderen Spaß macht das Spielen in einem der 52 Vereine des Blasmusikverbands Esslingen, in denen sich die Musizierenden einem breit gefächerten Repertoire von Klassik über Originalkompositionen für Blas­orches­ter bis hin zur Unterhaltungsmusik widmen. Die Freude wurde durch die Corona-Pandemie jedoch deutlich getrübt: Wie die Gesangvereine galten auch die Bläser als „Virenschleudern“. Zeitweise wurde das Vereinsleben durch die staatlichen Verordnungen auf null gesetzt, und auch im Zuge der Lockerungen liefen die Aktivitäten nur sehr zögerlich wieder an. Mit welchen Nachwirkungen kämpfen die Musikvereine nach dem Abklingen der Pandemie noch heute?

„Die Corona-Zeit brachte für uns große Herausforderungen“, sagt Marcus Schmidlechner, Vorsitzender des Musikvereins Berkheim im gleichnamigen Esslinger Stadtteil. Zunächst lief wochenlang nichts. „In der Not führten wir dann Online-Proben durch,
 

Durch Corona sind unsere Früherziehungskurse und Schnupperstunden leider auf der Strecke geblieben.
Marcus Schmidlechner
Vorsitzender Musikverein Berkheim
 

um unsere Musikerinnen und Musiker bei der Stange zu halten“. Das Konzept hat sich bewährt: Als der Verein später mit den damals gebotenen Abständen erste Open-Air-Proben ansetzte, waren fast alle wieder mit an Bord.

Ähnliches berichtet Philip Schulz, der der Stadtkapelle Plochingen vorsteht. „Stamm- und Jugendkapelle haben in der heißen Corona-Phase verschiedene Werke übers Internet einstudiert, und so den Kontakt gehalten“. Deshalb waren die beiden Kapellen nach Abklingen der Pandemie schnell wieder spielfähig. Mittlerweile konnten bereits einige Auftritte absolviert werden.

Etwas anders stellt sich die Situation beim Musikverein Denkendorf dar. Schon vor Corona war die Orchesterbesetzung des Vereins nicht optimal, und die sich über viele Monate erstreckende probenlose Zeit brachte weitere Verluste. „Um die musikalischen Aktivitäten wieder zu aktivieren, denken wir über neue Konzepte nach, wie Projektkonzerte oder eine Spezialisierung auf die Unterhaltungsmusik“, sagt Vereinsvorstand Stefan Schlagbauer. Auch im Jugendbereich sei eine intensive Aufbauarbeit notwendig.

Geholfen haben den Vereinen in der schwierigen Zeit staatliche Förderprogramme, beispielsweise die vom Bund geförderten Zuschüsse durch den „Bundesmusikverband Chor & Orchester“. Im Rahmen von „Neustart Amateurmusik“ erhielt auch der Musikverein Berkheim vom Dachverband der deutschen Amateurmusik finanzielle Unterstützung. „Aus diesen Geldern konnten wir die Anmietung der Berkheimer Osterfeldhalle finanzieren, und dort Proben mit großem Abstand zwischen den Orchestermitgliedern durchführen“, sagt Marcus Schmidlecher. 

 

Online führte zur Lustlosigkeit

Beim Musikverein Berkheim organisieren die ehrenamtlichen Jugend- und Ausbildungsleiterinnen den Unterricht und die Orchesterarbeit der angehenden Blasmusiker. „Während der heißen Pandemiephase wurde der Musikunterricht durch unsere professionellen Lehrkräfte online durchgeführt“, berichtet Nicole Droxner, die für die Koordination des Ausbildungsbetriebs verantwortlich ist. Doch nach einigen Monaten hätte man eine nachlassende Begeisterung und eine Lustlosigkeit bei den Eleven gespürt. Auch die Lehrer waren froh, als sie ihre Schülerinnen und Schüler wieder im Live-Unterricht betreuen konnten: Es gab einen deutlichen Motivationsschub.

Dies sorgte auch in der Jugendkapelle des Musikvereins für frischen Wind. „Wir tun viel, um die Kameradschaft unter den jungen Musikerinnen und Musikern zu fördern“, erzählt Vorstand Schmidlechner. Auf dem Programm der Jugendkapelle stehen neben regelmäßigen Auftritten und Schülervorspielen auch Probenwochenenden und Ausflüge. Aber: „Durch Corona sind unsere Früherziehungskurse und Schnupperstunden leider auf der Strecke geblieben“, bedauert Schmidlechner. Hier will die Jugendleitung ansetzen. „Wir werden die Kurse der musikalische Früherziehung reaktivieren, und auch die ‚Youngsters‘, unser Kinder-Ensemble, sind demnächst wieder am Start. Wir haben die Corona-Zeit gut gemeistert und sind auf einem erfolgreichen Weg.“

 

So wird die Blasmusik organisiert

Blasmusikverband Baden-Württemberg (BVBW): Der 1977 gegründete Verband ist Interessenvertreter für 1428 Musikvereine der Bläser- und Spielleutemusik. Mit 106 000 Aktiven, davon mehr als 63 000 Jugendliche, in 3300 Orchestern und Ensembles.. Aufgaben sind die musikalische und überfachliche Bildungsarbeit sowie die Interessenvertretung. Der Verband unterstützt die Vereine bei Themen wie Versicherungen, GEMA, Verbands- und Vereinsmanagement sowie Presse- und Finanzwesen.

Blasmusikverband Esslingen: Der vom Bundestagsabgeordneten Markus Grübel als Präsident geführte Verband vertritt die Interessen der 52 Musikvereine im Kreis. Er veranstaltet Fortbildungslehrgänge für Dirigenten und Kurse für Musikerinnen und Musiker. Vorstände und Kassierer erhalten in Seminaren im administrativen Bereich Hilfestellung. Darüber hinaus organisiert der Kreisverband Wertungsspiele und Jugendwertungsspiele. rk

 

Drei Fragen an Bruno Seitz, Landesmusikdirektor im Blasmusikverband Baden-Württemberg:

  1. Wie hat sich Corona auf die Musikvereine ausgewirkt? 
    Direkt nach der Öffnung war ein Mitgliederschwund spürbar, der sich im letzten halben Jahr aber wieder auffängt: Bei vielen Vereinen kommen die Mitglieder zurück in die Orchesterarbeit. Ein großes Problem ist die Nachwuchsarbeit. Durch den Wegfall der Bläserklassen während der Pandemie wurden die Ausbildungslinien im Jugendbereich unterbrochen und scheinen sich nur sehr schwer zu erholen. Es ist deutlich zu spüren, dass die Kapellen, die sich während der Lockdowns mit besonderen Formaten weiter mit der Orchesterarbeit befasst haben, wieder in die alte Qualität zurückfinden.

  2. Wie hat der BVBW seine Mitglieder während der Pandemie unterstützt?
    Wir waren bestrebt, die Inhalte der Pandemieverordnungen schnellstmöglich für unsere Mitgliedsvereine transparent zu formulieren, und die noch möglichen Vereinsaktivitäten am Leben zu erhalten. In regelmäßigen Online-Meetings für Dirigenten und Vorstände standen wir für Fragen und Anregungen zur Verfügung.

  3. Welche Nachwirkungen hat Corona auf die Beteiligung bei Wertungsspielen und Jugendwertungsspielen gehabt?
    In der Zeit direkt nach der Öffnung wollten sich die Orchester erst wieder auf die Qualität von vor der Pandemie bringen. Dieser Gedanke herrscht auch 2023 noch vor. Die Wertungsspiele finden in diesem Jahr schon wieder statt, aber mit geringerer Beteiligung. Viele haben sich zum Ziel gesetzt, 2024 wieder mit alter Kraft in ein Wertungsspiel zu gehen. Wesentlich schneller haben sich die Kammermusik-Wertungsspiele im Jugendbereich erholt. Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist 2023 bereits enorm hoch. Rainer Kellmayer