Es sind viele kleine Experimente in Basisdemokratie, die da im Zusammenhang mit dem Kirchheimer Steingau-Quartier unternommen werden: Baugruppen planen gemeinsam ein Haus, in dem sie später gemeinsam wohnen wollen. Der Teckbote hat jetzt einer dieser Baugruppen über die Schulter gesehen. Sie nennt sich „EZA 4.0“, und ihr Ziel klingt recht simpel: Bis April 2021 sollen acht Wohnungen bezugsfertig sein.
Der Weg zu diesem Ziel erscheint wesentlich komplexer. Zahllos sind die Baugruppensitzungen. Jede einzelne davon ist gespickt mit vielen Tagesordnungspunkten. Ende Januar ging es beispielsweise um Themen wie das Farb- und Materialkonzept der Fassade, um die Vergabe von Sonnenschutz und Trockenbau, um einen Beschluss zur Straßenbeleuchtung oder auch um die „Abstimmung von Schlosserdetails“.
Zur Anschauung geht‘s ans Objekt
Der erste Tagesordnungspunkt hieß „Bemusterung Betonlasur Aufzugskern“ - und dieses Thema bestimmte sogar den Tagungsort: den Gemeinschaftsraum eines bereits realisierten Projekts auf dem alten Güterbahnhofsgelände in Tübingen. Der Raum selbst stand dabei aber nicht im Mittelpunkt des Interesses, so wenig wie die Information, dass sich direkt darüber eine Demenz-WG für acht Bewohner befindet.
Wesentlich war die Besichtigung des Treppenhauses und des Kellers. Mittendrin: der leicht bläulich lasierte Aufzugskern. Kernpunkt der Fragestellung: „Wie wollen wir unser eigenes Treppenhaus gestalten?“ Dabei ging es nicht nur um die Farbe, die der Aufzugsschacht außen einmal tragen soll, sondern auch um die Treppen, den Handlauf und um die Außenwand des Treppenhauses.
Blanker Beton oder verputze Wände - pur, lasiert oder einfach nur angemalt? Welche unschönen Flecken zeigen Gebrauchsspuren an? All das ließ sich in Tübingen am „lebenden Objekt“ studieren. Das zeigt, wie wichtig es ist, sich nicht nur mit Plänen und Bildern zu beschäftigen, sondern auch selbst in Augenschein zu nehmen, wie so etwas aussieht, wenn es fertig ist. Eine der Erkenntnisse, die die Architektin der EZA-Baugruppe, Katja Pörtner, vor Ort in Tübingen herausarbeitete: „Hier wurde Wert auf sparsames Bauen gelegt.“ Entsprechend spartanisch fällt das Ergebnis in Treppenhaus und Keller oftmals aus.
Der Verzicht auf Farbe, Lasur oder Putz spart Geld. Ein Extrembeispiel bekommt die Baugruppe am Sitzungsabend noch als Foto präsentiert: Treppen, Aufzugskern und Außenwand des Treppenhauses zeigen sich grau in grau - Beton in Reinform eben. Und wie es im Leben so ist mit den Geschmäckern, wird auch in der Baugruppe kontrovers diskutiert: Den einen gefällt‘s, den anderen nicht. Hier wäre jemand für mehr Farbenfreude, dort spricht sich jemand allenfalls für unterschiedliche Schattierungen des Grauen aus, und ähnlich ist das auch bei der Frage nach Lasur oder Putz - sogar bei der Frage, ob die Außenwand, wie im Tübinger Beispiel, weiß sein soll oder nicht.
Genau das ist das Spannende am Experiment: Wie kann es funktionieren, so viele unterschiedliche Meinungen zu so vielen bauspezifischen Themen unter einen Hut zu bringen? Unter anderem deshalb hat die Baugruppe eine Projektbetreuerin engagiert, Lucia Landenberger. Gemeinsam mit der Architektin zeigt sie Lösungsansätze für das eine oder andere Problem auf. Aber beide sind eher Mediatoren als Bestimmer. Immer wieder fällt der Satz: „Entscheiden müsst ihr letztlich selbst.“ Im Fall des Treppenhauses kommt deswegen die Frage auf: „Können wir das auch erst dann entscheiden, wenn wir es direkt sehen, in unserem eigenen Treppenhaus?“
Das müsste möglich sein. Aber auch eine aufgeschobene Entscheidung ist irgendwann zu treffen. Und die Grundproblematik ändert sich auch in sechs Monaten nicht: Was dem einen als Nonplusultra erscheint, kann für den anderen die reinste Horrorvorstellung sein. Kompromisse zu finden, ist oft alles andere als leicht, und das an einer heiklen Stelle wie dem Treppenhaus - das alle in gleicher Weise nutzen, das also allen in gleicher Weise gefallen sollte.
Bei den Diskussionen der Baugruppe geht es dennoch erstaunlich sachlich und gelassen zu. Der gemeinsame Wille, etwas zu schaffen, was alle begeistert und was allen nutzt, ist spürbar vorhanden - und auch die Überzeugung, dass es gelingt. Ob es hinterher wirklich allen gefällt, wird sich weisen. Nur einer dürfte kein Problem haben: Der jüngste der späteren Bewohner ist gerade mal anderthalb Jahre alt. Egal wie die Entscheidung für das Treppenhaus ausfällt - er wird es nicht anders kennen als so, wie es dann nun mal ist.