Kirchheim
Blues mit Power und Leidenschaft

Konzert Die 83-jährige Rhythm & Blues-Legende Tommie Harris und das Trio „Bluescats“ aus Hamburg begeisterten mit einem Programm aus modern interpretierten Klassikern das Publikum in der Bastion. Von Hans-Günther Driess

Schon nach wenigen Takten der Opening-Nummer „Mule 5“ offenbart sich, dass die Fans in der ausverkauften Bastion ein außergewöhnliches Hörerlebnis erwarten dürfen. Dafür sorgten - zunächst instrumental - drei Hochkaräter der deutschen Bluesszene, die Hamburger Band „Bluescats“.

Jens Filser versetzt das Publikum in Erstaunen mit seinen Gitarrenläufen im Wechsel mit knackig angeschlagenen Riffs und virtuosen Improvisationsketten. Sofort werden Erinnerungen an die Helden der E-Gitarre wach, nicht zuletzt an Jimmy Hendrix, dem einst die „physische Poesie der Gitarre“ zugesprochen wurde. Dieses Bild passt auch gut zu Filsers körperbetontem expressivem Spiel. Bernd Oppel und Till Brandt schieben das Ganze mächtig an und sind mehr als bloßes grooviges Fundament für den Solisten. Die Band spielt auf höchstem, professionellem Niveau: modern und gleichzeitig der Tradition verpflichtet. Wer 2022 Blues spielt, hat Soul, Funk und Rock schon erlebt und diese Anreicherungen in sich aufgesogen. Entsprechend verleiht der vielfältige Groove der „Bluescats“ dem Abend Spannung und Würze.

Einige Zuhörer reißt schon die erste Nummer von den Stühlen und sie tanzen zur Musik. Die Stimmung im alten Gemäuer ist großartig, als der legendäre 83jährige Bluessänger Tommie Harris aus Alabama die Bühne betritt und mit „Why I Sing The Blues“ sein musikalisches Credo verkündet. Seine kehlig-gepresste Stimme wird in der Tiefe zur souligen „black voice“, klingt zwischendurch auch samtig-weich und der Gesang wirkt authentisch, ausdrucksstark und ehrlich.

Polyphonie im Blues

Zum Highlight des vorwiegend aus Klassikern bestehenden Programms wird die Interpretation des St. James Infirmary Blues. Dessen Text spiegelt die für frühe Bluesgesänge typische Melancholie und Verzweiflung über die Situation der afroamerikanischen Bevölkerung in den Südstaaten wider. Harris verdeutlicht den Inhalt mit „dirty tones“ und improvisatorischen Ausschmückungen, beispielsweise bei „crying“ und “my baby, she was lying there dead“. Im Intro des Liedes ist faszinierend, wie Till Brandt zum Thema der Gitarre eine Kontrabass-Linie als Gegenstimme beisteuert. Polyphonie im Blues. Das mehrminütige Drumsolo von Bernd Oppel mit allen Finessen – Zwiesprache der Trommeln und Becken, Variieren mit Rimshot, Wirbeln, Tempo- und Dynamikänderungen - lässt langen Beifall aufbranden.

Die halbakustische E-Gitarre von Jens Filser besitzt einen herrlichen Klang. In „Route 66“ zaubert sie zunächst leise, weiche Töne, um dann eruptiv in den Hendrix-Style mit seinen wie in Trance kreisenden Tonskalen überzugehen.

Sehr schön wird im Stile einer Rumba „Who’s Been Talking?“ gestaltet mit stiltypischem Latin-Flair der Perkussion und fein zurückgenommenem Sound in Singstimme und Instrumenten, was im Kontext des insgesamt lauten Konzerts wohltuend für die Ohren ist.

Till Brandt spielt seinen Kontrabass meisterlich und lässt die warmen, sonoren Töne schweben. Er schreibt die meisten Arrangements für das Trio. Bernd Oppel webt am Schlagzeug einen feinen Teppich aus Groove und Sound, der die Musik wunderbar trägt. Er schenkt dem Klang der Band eine ganz spezielle Farbe.

Gewöhnungsbedürftig ist die Version des 100-fach gecoverten „Summertime“ aus der Oper „Porgy and Bess“ von George Gershwin, wenngleich der Bossa Nova-Stil als Kontrast im Programm Sinn macht. Im Jump Blues „Caledonia“ und in „Feeling blue“ gefällt der treibende Rhythmus des Trios und die differenzierte Gitarrentechnik Jens Filsers.

Bei der ersten Zugabe „It’s A Blues World“ wird das begeisterte Publikum im „Call and Response“ zum Mitsingen aktiviert und den gelungenen Schlussakkord des Konzerts setzt der Hit „Georgia On My Mind“ von Ray Charles.