Kirchheim
Corona-Hilfe wird zum Bumerang

Lockdown Die nachträgliche Abrechnung der staatlichen Gelder sorgt in vielen Betrieben für ein böses Erwachen. Bürokratie und Rückzahlungen treiben Unternehmer auf die Barrikaden. Von Bernd Köble

Markus Hornung ist stocksauer. Der Familienbetrieb auf dem Sulzburghof in Unterlenningen hat gerade 15000 Euro in die Vorbereitungen für den jährlichen Weihnachtsmarkt gesteckt – wieder umsonst. Obwohl der Hofladen mit Gastronomie und breitem Lebensmittelsortiment geöffnet ist, ist der Umsatz im November um 28 Prozent eingebrochen. „2 G“, sagt Hornung, „das ist für uns ein Lockdown light.“ Statt über Strategien nachzudenken, wie der Betrieb heil durch den Winter kommt, brütet er nun über Wirtschaftszahlen und hat eine Frist vor Augen: Bis 19. Dezember läuft das komplizierte Rückmeldeverfahren der L-Bank und des Wirtschaftsministeriums zur Abrechnung der Corona-Soforthilfen vom Frühjahr 2020. Für Hornung und den Sulzburghof könnte das bedeuten, dass 30 000 Euro an Unterstützung zurückbezahlt werden müssen. Für viele Kleinunternehmen, die damals von unentgeltlicher und unbürokratischer Hilfe ausgegangen waren, ein Schlag ins Gesicht.

Der Bund der Selbständigen in Baden-Württemberg und seine Vorsitzende Bettina Schmauder hat sich mit einem dringenden Appell an die Politik gewandt. Einer der Kritikpunkte ist nicht nur die knapp bemessene Frist zur

 

Ich kann die Kritik durchaus nachvollziehen.
Andreas Schwarz
Fraktionschef der Grünen im Landtag
 

Abgabe des Rechenschaftsberichts, der Berechnungszeitraum weist auch eine entscheidende Lücke auf: Zwischen dem Lockdown ab 13. März und dem Beginn des Antragsverfahrens auf Soforthilfe liegen zwei Wochen, in denen vielen Unternehmen der Umsatz komplett weggebrochen ist. Bei der Ermittlung des Anspruchs spielen sie aber keine Rolle, weil das Datum der Antragstellung gilt. Dafür zählen im dreimonatigen Berechnungszeitraum die zwei Wochen Anfang Juni, als viele Betriebe schon wieder öffnen durften und demzufolge auch Umsätze verzeichneten.

Außerdem: Ging es beim Start des Hilfsprogramms noch um den Ausgleich von Liquiditätsengpässen oder Umsatzeinbrüchen, war von Umsatzverlusten als ein Kriterium später nicht mehr die Rede. „Obwohl dies im offiziellen Zuwendungsbescheid so zu lesen stand und zwar an prominenter Stelle“, betont Bettina Schmauder. Für sie ist klar: Hinter dem Streit verbirgt sich auch ein Kommunikationsproblem oder wie sie es formuliert: „Die Diskrepanz zwischen unternehmerischer Realität und Verwaltungshandeln.“

Die Kirchheimer Unternehmerin fordert die Politik nun auf, zu reagieren. Konkret: Die Frist für die Rückmeldung vorerst auszusetzen und zu klären, was eigentlich politischer Wille ist, wie sie sagt. „Ziel war es, die Unternehmen in ihrer angespannten Lage zu entlasten“, sagt Schmauder. Das jetzige Verfahren, das für die meis­ten Kleinbetriebe ohne die Hilfe eines Steuerberaters gar nicht möglich sei, könne damit nicht gemeint gewesen sein. Zumal das erst der Anfang sei. „Die Abrechnung der Überbrückungshilfen steht ja noch aus.“ 

Andreas Schwarz kennt die Klagen. „Beim Betrachtungszeitraum kann ich die Kritik durchaus nachvollziehen“, räumt der Kirchheimer Grünen-Fraktionschef im Landtag ein. Das Problem, dass der Zeitraum mit den größten Umsatzeinbußen unter Umständen nicht berücksichtigt werde, sehe er. Die Kritik, die Rahmenbedingungen seien nachträglich verändert worden, weist Schwarz allerdings zurück. „Meine Fraktion und ich sind intensiv im Austausch mit dem Wirtschaftsministerium“, sagt der Regierungsvertreter und spricht von positiven Signalen. Man versuche einen Weg für eine Fristverlängerung zu finden und möglicherweise auch den Betrachtungszeitraum zu ändern. 

Markus Hornung will nun erst einmal abwarten, was die Gespräche bringen. Auf dem Sulzburghof blickt man mit Sorge ins neue Jahr. Elf der vergangenen 24 Monate waren die Hofcafés in Unterlenningen und in der Kirchheimer May-Eyth-Straße geschlossen. Die Gastronomie macht zwar nur die Hälfte des Umsatzes aus, dafür aber den größten Teil des Gewinns. Eine Situation wie im Frühjahr 2020 möchte Hornung nicht mehr erleben. Als der erste Lockdown kam, steckte der Betrieb mitten in Baumaßnahmen für eine Erweiterung. Damals flatterten fast täglich Handwerkerrechnungen ins Haus. Trotzdem habe man alles mitgetragen, ein strenges Hygienekonzept verfolgt und einen sechsstelligen Betrag in eine Lüftungsanlage investiert, sagt Markus Hornung. „Das man jetzt dafür bestraft wird, ist einfach nicht fair.“ 

 

Fast zwei Drittel rechnen mit Rückzahlungen

Der Bund der Selbständigen (BdS) in Baden-Württemberg hat im Zeitraum zwischen 18. und 24. November 335 Mitglieder zum laufenden Rückmeldeverfahren befragt. Demnach rechnen rund 64 Prozent der befragten Unternehmen damit, dass sie die Soforthilfe komplett (26,47 Prozent) oder teilweise (36,47 Prozent) zurückzahlen müssen.
Besonders dras­tisch stellen sich die Zahlen im Handwerk und in der Gastronomie dar: Sind es im Handwerk jeweils 39,53 Prozent der befragten Betriebe, die mit einer vollständigen oder teilweisen Rückzahlung rechnen, geben mehr als 90 Prozent der Gastronomie­betriebe an, dass sie komplett (23,23 Prozent) oder teilweise (69,23 Prozent) die ausbezahlten Hilfen zurückerstatten müssen.  tb