Kirchheim
Damit es nicht zum Atomkrieg kommt

Russland Rüstungskontrollexpertin Jana Baldus erklärt in der Thomaskirche, warum Aufrüstung die falsche Antwort auf Putins Krieg ist.

Kirchheim. Dass das etwas sperrige Thema „Atomwaffenverbotsvertrag“ eine solch dramatische Aktualität erlangen würde, damit hatte die Friedensinitiative Kirchheim nicht gerechnet, als sie die Veranstaltung mit der Rüstungskontrollexpertin Jana Baldus plante. „Krieg in der Ukraine beenden! Atomares Wettrüsten stoppen! Möglichkeiten des Atomwaffenverbotsvertrags!“, lautete das aktualisierte Thema des Abends in der Thomaskirche in Kirchheim. Baldus ist Doktorandin bei der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung und beschäftigt sich seit Jahren mit Ereignissen und Szenarien, die so düster sind, dass die meisten Menschen lieber die Augen davor verschließen: Mit Atomkriegen.

Während dieses Thema in den vergangenen Jahren allenfalls ein Lieblingsthema von Friedensaktivisten war, gilt spätestens seit der aktuellen Krise Wegsehen nicht mehr. „Das Gefahrenpotenzial eines nuklearen Krieges hat sich dramatisch erhöht“, sagt Jana Baldus. Der Ukraine-Krieg zeige die mit Atomwaffen verbundenen Eskalationsrisiken. Die Situation sei nicht mit dem Kalten Krieg vergleichbar, in dem die USA und die Sowjetunion ihre Atomwaffen aufeinander richteten. Wie Russland Kernwaffen als Drohmittel einsetze, widerspreche jeglicher Abschreckungslogik. „Hier geht es darum, den Krieg zu erhalten und dafür zu sorgen, dass andere nicht in den Krieg eingreifen“, sagt Baldus.

Die Konfliktforscherin ist erleichtert darüber, dass die NATO und die USA auf Putins Eskalation nicht reagiert haben und somit keine atomare Drohspirale in Gang gesetzt worden ist. Dennoch könne das Verhalten Putins zu einer Abschwächung des „nuklearen Tabus“ führen. „Iran könnte beispielsweise den Schluss daraus ziehen, dass man mit solchen Drohungen mehr Sicherheit gewinnen kann“. Und nicht zuletzt könne es tatsächlich zu einem nuklearen Angriff kommen – mit dramatischen Folgen. 225 000 Menschen seien 1945 nach dem Abwurf zweier amerikanischer Atombomben in Hiroshima und Nagasaki gestorben. Auch die ökologischen und sozioökonomischen Folgen eines solchen Einsatzes seien verheerend. Wie kann man darauf reagieren? „Es muss alles dafür getan werden, dass keine Atomwaffen eingesetzt werden“, sagt Baldus. Der Fokus müsse immer auf den humanitären Folgen liegen. „Es gibt kein Gesundheitssystem der Welt, das für einen solchen Einsatz gerüstet wäre“.

Trotz der aktuellen Bedrohung ist Jana Baldus davon überzeugt, dass nur Abrüstung die Welt sicherer machen kann. Sie befürwortet deshalb auch das Ende der nuklearen Teilhabe, also der Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Boden. „Die Nuklearwaffen in Deutschland sind ein Angriffsziel“, lautet eine ihrer Begründungen. Darüber hinaus hätten sie keinerlei Nutzen, ihre Stationierung in Deutschland sei reine Symbolpolitik. „Niemand wird diese Waffen auf Flugzeuge laden und damit nach Russland fliegen, weil sie sofort abgeschossen werden würden“, sagt Baldus. Darüber hinaus müsse Deutschland sich dessen bewusst sein, dass es mit der Stationierung von Atomwaffen eine Mitverantwortung für die negativen Folgen beispielsweise von Atomtests im Pazifik trage. 

Außerdem wies Jana Baldus darauf hin, dass Atomkriege auch „aus Versehen“ angezettelt werden können, beispielsweise aufgrund von technischen Problemen oder Störungen in der militärischen Kommunikation. „Eine unbeabsichtigte Eskalation ist das erschreckendste Szenario“, sagt sie.Antje Dörr