Moderator Pierre Jarawan, internationaler Bestseller-Autor und deutschsprachiger Meister im Poetry-Slam von 2012, erklärt die bevorstehende Slam-Reise den Neulingen die wichtigsten Regeln des Dichterwettstreit, initiiert vom Club Bastion: Acht Poetry-Slammer, drei Frauen und fünf Männer, wollen das Publikum in jeweils sechs Minuten mit ihren selbstgeschriebenen Texten ohne Zuhilfenahme etwaiger Requisiten überzeugen – Ablesen ist erlaubt. Mit ihren eigenen konkurrenzlosen Liedern auf Englisch und Deutsch gelingt dies auf musikalischer Ebene Katrin Freiburghaus: Atmosphärisch dicht, mit glasklarer Stimme und fein-nuanciertem Gitarrenspiel.
Ein „krankes Mitmach-Märchen“ hat Tamara Stocker aus Innsbruck mitgebracht. So sanft ihre Stimme, so deftig der auswendig gesprochene Text über „Prinzessin Corönchen und ihren Bruder Peter Pandemie“ – beherzt betonte Wortspiele, die man erst einmal sacken lassen musste. „In einem Land, wo Pusteblumen nie verwelken und die Bachelors Gürtelrosen verschenken. Bunte Nierensteine die Atemwege schmücken und Würmer munter über Scheidenpilze hüpfen, der graue Star blindlings zwitschernd durch die Lüfte fegt, wo einfach alles im Einklang mit der Darmflora und Fauna geht“, reimt sie und verrät: „Aus vielen Flatulenzen wurde aus einem einzigen Grippostadl eine riesige Ratiopharm.“
Julie Kardellants Geschichte beginnt in der Grundschule in Straßburg, sie berichtet: „Ich schaute in hasserfüllte Augen, als ich ein T-Shirt in Regenbogenfarben anhatte.“ Sie nennt Fremd-Outing und Ehe für Alle, die es in Frankreich seit 2013 und in Deutschland seit 2017 gebe, und wie sie betont: „Merkel war trotzdem dagegen.“ Ein Thema, dass ihr wichtig ist, erst am Schluss wird ihre Stimme langsamer und entspannter: „Höre zu, versuch zu verstehen und informier dich.“
Oberlustig und in freier Reimform, sorgte der Wahlleipziger Skog Ogvann mit seinem Ehestreit: „Erektion, Emotion, Saxofon“ für etliche Lacher. Herrlich fantasievoll, wie der Schwede mit aussagekräftiger Gesichtsakrobatik eine Axt, die Unart des Stehpinkelns sowie das Bürgerliche Gesetzbuch in Einklang brachte. „Manchmal führt ein solcher Streit zu einer Unbesonnenheit.“
Viel zu besprechen hatte Hank M. Flemming aus Tübingen, dessen Arbeitstitel „Säugling im eigenen Darm“ lautete und den bereits „nach dem Morgenschiss“ die Frage umtreibt: „Was geht mit der Welt, dass sie sich mir so ungeschickt gestaltet?“ Keiner könne ihm sagen, was richtig und falsch sei, beklagt er sich lautstark. „Ich habe das Gefühl, ich versteh euch nicht mehr!“ Warum mache er Kleinkunst statt Karriere? Gehöre er zu den Wutbürgern oder Gutmenschen? Ganz sicher will er, dass die Welt gerettet wird.
Immer die gleichen Party-Themen
„Die Themen auf Partys sind immer die gleichen“, findet William Laing. Mit Esprit mischt er sich im Namen des fiktiven Tim in das Partygeschehen und quasselt sich in Kirchheim laut und schnell den Mund fusselig. „Kann mir einer sagen, warum Flusspferde noch nie in der Pferdezeitschrift Wendy waren?“ Komplett anders tritt Jascha Reinboth aus Ostfildern auf: „Irgendwie ist glücklich sein so einfach“, sagt sie und will ihren Text an alle mitgeben. „Ich kann nur die beste Version von mir sein, die es eben heute gibt.“ Julius Althoetmar aus München, der sich am Schluss mit Hank M. Flemming den ersten Platz und die Pulle Sekt teilt. Während der Pandemie sei er 21 Jahre alt geworden und resultierend daraus habe er seine „Niedlichkeit eingebüßt“, nennt er den Grund, warum es in seinem Text ums „Altwerden“ geht. Beschreibt mit viel Fantasie, wie er im imaginären beigen Ohrensessel sitzend in ein altes Handy geräuschvoll die Verabredung zum Canasta-Spiel eintippt und aufgrund des Schreibfehlers im ersten Wort, mühsam zurück auf Anfang muss.
Am Schluss stellt Lukas Bühner aus Ulm fest, „dass das Sitzen die neue Droge ist.“ Er selbst habe es geschafft, aus dem Sitzen auszusteigen: „Kalter Entzug. Ich bin jetzt Nichtsitzer und das steht mir gut. Doch viele Leute sind noch wie Schmeißfliegen, sie bekommen einfach nicht genug vom Stuhl.“ Deshalb fordert er ab sofort Stehbetten und Stehautos für alle.
Ratzfatz war der vielseitige und kurzweilig Abend vorbei. Wer letztendlich weiterkam, entschieden die 150 Besucher durch Länge und Intensivität ihres Applauses. Verdient hätten es alle, denn jede und jeder war auf seine Weise ein Unikat.