Kirchheim
Darum bleiben die Apotheken am Mittwoch geschlossen

Gesundheit Medikamenten-Engpässe, komplizierte Dokumentations- und Abrechnungsverfahren und höhere Abschläge an die Krankenkassen: Apothekerinnen und Apotheker protestieren gemeinsam. Von Thomas Zapp

Ein Streik ist es nicht, der am morgigen für die Schließung von bundesweit knapp 18 000 Apotheken sorgt. Vielmehr richtet sich der Protest der Apothekeninhaberinnen und -inhaber gegen all das, was derzeit ihrer Ansicht nach in der Versorgung mit Medikamenten schiefläuft. Dr. Tobias Raichle von der Ärztezentrum-Apotheke in Kirchheim hält das Protestplakat in seiner Apotheke aufgehängt: Weniger Bürokratie, eine faire Vergütung und Kompensation für den Mehraufwand bei der Medikamentenversorgung. Die von der Schließung am meisten betroffen weiß er dabei auf seiner Seite. „Wir bekommen von unseren Kundinnen und Kunden überwiegend Zuspruch“, versichert Raichle. 

Zum einen geht es ihm uns seinen Mitstreiterinnen um überbordende Dokumentations- und Abrechnungspflichten. „Die Lieferengpässe bei Antibiotika haben ja alle mitbekommen. Da fordern wir Erleichterung bei der Beschaffung von Ersatzarzneimitteln“, sagt er. Die bisherige Praxis sieht vor, eine Abweichung vom Rabattarzneimittel der Krankenkasse ausführlich zu begründen. „Sie schreiben da Romane auf das Rezept“, sagt Raichle. Diese Regelungen stammten aus Zeiten, in denen Engpässe ein Fremdwort waren. Man wünschte sich einfach mehr Freiheit, Medikamente innerhalb der gleichen Wirkstoffklasse austauschen zu können. „Die Regelung ist viel zu komplex“, sagt er und die Krankenkassen können eine Vergütung zurückfordern, wenn sie die Begründung für einen Medikamententausch nicht anerkennen. Das nennt sich Retaxierung und kann für eine Apotheke am Jahresende richtig teuer werden. 

Ein anderes Thema ist die Einfuhr von Arzneimitteln aus dem Ausland. „Das geht nur in Absprache mit der Krankenkasse, und ich muss das Rezept der Kunden schon in der Hand halten“, erklärt Tobias Raichle. Nur nutzt das der Mutter mit dem Kind wenig, wenn sie schon in der Apotheke steht und dann drei Wochen auf die Lieferung warten muss. Deshalb hat man bereits eigene Lösungen entwickelt: „Wir schicken Listen an Kinderarztpraxen raus, damit die wissen, was wir haben und was sie verschreiben können.“ Ein Problem können aber auch sie nicht lösen: Die Arzneimittelknappheit. Augenfällig sei dies bei einer Streptokokken-Welle Anfang des Jahres gewesen. „Die beste Medizin dagegen ist Penicillin, aber das war nicht lieferbar“, sagt Tobias Raichle. Die Folge: Mit den vorhandenen Medikamenten wurde die Infektion in vielen Fällen nicht nachhaltig geheilt, es kam vermehrt zu Rückfällen.  

Es geht auch ums Geld

Konkret geht es den Apotheken aber auch ums Geld: Der Kassenabschlag pro verschreibungspflichtigem Medikament erhöht sich aktuell von 1,77 Euro auf zwei Euro – diesen Betrag müssen sie an die Kassen abführen. „Damit sinkt die Vergütung für Apotheken auf das Niveau von 2004, bei steigenden Lohn- und Betriebskosten“, sagt Tobias Raichle. Nicht nur das: Das Zusatzgeschäft durch „Hilfsmittelversorgung“ wie Katheder oder Urinbeutel ist ebenfalls nicht mehr attraktiv: „Vom Einkaufspreis muss die Apotheke 7,5 Prozent abführen. Solche Verträge sind ein Schlag ins Gesicht“, sagt Tobias Raichle. Deshalb würden Patienten oft in Apotheken nicht mehr fündig, auch wenn sie dringend auf einen Katheter angewiesen sind.

Außerdem müssten sich Apotheken für den Hilfsmittelverkauf „präqualifizieren“. So ist etwa eine Behindertentoilette mit bestimmten Maßen erforderlich. „Ich musste zwei Mal den Antrag stellen. Beim zweiten Mal mit Metermaß auf dem Foto, um zu beweisen, dass die Höhe der Toilette stimmt. Benutzt wurde sie allerdings noch nie“, sagt der Apotheker kopfschüttelnd. 

Dieser Tropfen habe das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Es sei historisch, dass die Apotheken gemeinsam protestieren – aber offenbar ist eine Schmerzgrenze überschritten worden. 

 

Hier gibt es Apotheken-Notdienst

Am morgigen Mittwoch, von 8.30 Uhr bis 8.30 Uhr am Donnerstag, 15. Juni, decken folgende Apotheken in der Region den Notdienstbetrieb ab: Mörike-Apotheke, Kirchheimer Str. 7, 72622 Nürtingen, Telefon 07022/3 14 12; Rathaus-Apotheke, Hauptstraße 11, 73262 Reichenbach, Telefon 07153/5 41 72; Obertor Apotheke, Obertorstraße 41, 73728 Esslingen am Neckar, Telefon 0711/396 95 80; Apotheke Stetten, Klosterstraße 17, Kernen im Remstal, Telefon 07151/4 24 49; Seelberg Apotheke, Wildunger Straße 52, 70372 Stuttgart, Telefon 0711/509 42 40. zap