Kirchheim
Das „Eigenhändig“ in Kirchheim: Wo Unverpacktläden eine Zukunft haben

Handel Die Erfolgsstory der Geschäfte, die ihre Waren lose verkaufen, ist ins Stocken geraten. Das Kirchheimer „Eigenhändig“ von Laura Bäßler trägt sich zwar, ein Berater soll ihr aber neue Wege aufzeigen. Von Thomas Zapp

Laura Bäßler will es von ihrem Kunden genau wissen: Mit Chiliflocken oder ohne? Der Eigenhändig-Kunde überlegt: „Für mich ein bisschen, für meine Frau lieber nicht.“ Und wo ist das Pfand-Nachtischschälchen? Hat er vergessen, ist aber kein Problem. Man kennt sich eben in der kleinen Gemeinschaft der Essensbesteller im „Eigenhändig“, dem ersten Unverpackt-Laden in der Kirchheimer Innenstadt.

Der Mittwoch ist Kochtag, dann steht Stefanie Baumann am kleinen Herd im etwas höher gelegenen Hinterraum und kocht zum Beispiel cremiges Soja-Geschnetzeltes mit Champignons und Ofenkartoffel mit Quark als Beilage, das Ganze frisch gekocht in der Müll vermeidenden „Zerowaste Küche“ solange der Vorrat reicht. Zum Nachtisch gibt es dann noch saftigen Mandel-Orangen-Kuchen mit Himbeeren aus Dinkelmehl. 

„Das Essen läuft mal so, mal so“, sagt die Inhaberin, die das Start-Up im September vergangenen Jahres von der Gründerin Nadja Schoser übernommen hatte. Das erste Jahr ist also noch nicht rum, aber Laura Bäßler weiß schon jetzt: „Der Umsatz muss noch mehr werden.“ Leben könnte sie davon nicht – aber das muss sie auch nicht. Zwar hat sie ihre Zeit im Hauptberuf reduziert, arbeitet aber immer noch bei Bosch in Reutlingen. Doch die verbliebene Zeit investiert sie mit viel Herzblut ins Eigenhändig: Die Glasspender ist gut gefüllt, das Angebot ansprechend präsentiert und das Ambiente im Stilmix von Vintage und modern trägt das Prädikat „angesagt“.

Dass der erste Unverpacktladen in Nürtingen, das „Glas und Beutel“ vor dem Aus steht, hat sie überrascht. Doch die Nürtinger liegen in einem ungewollten Trend: Bundesweit geht die Zahl der Unverpacktläden seit 2022 wieder zurück. Die Fachzeitschrift Wirtschaftswoche titelte schon: „Konzept ohne Zukunft?“

Ein Berater sieht das anders. „Das ist ja keine Krise der Unverpacktläden, sondern vor allem von kleineren, inhabergeführten Läden“, erklärt Unternehmenscoach Attila Flöricke, der sich auf nachhaltige Geschäftsmodelle und insbesondere Unverpacktläden spezialisiert hat. Auch Laura Bäßler wird jetzt seine Dienste in Anspruch nehmen, um mehr aus ihrem Business herauszuholen.

Verhalten hat sich geändert

Ihr Ziel ist ambitioniert, aber nicht hoffnungslos, auch wenn es in eine Zeit multipler Krisen fällt. Als Folge der Energie- und Wirtschaftskrise habe sich gerade im Lebensmittelbereich das Konsumentenverhalten verändert, analysiert Flöricke. „Es findet ein Downgrade statte, man kauft die nächst niedrigere Qualitätsstufe – entweder innerhalb des Ladens oder eben in einem anderen, günstigeren. Die Discounter, so der Erfurter Berater, würden laut Statistiken einen Zuwachs von fast 30 Prozent erfahren.

 

Wem Müllvermeidung sehr wichtig ist, der geht nicht woanders hin.
Attila Flöricke
Der Berater setzt auf das Potenzial der treuen Kundschaft

 

Beim Konzept der Unverpacktläden käme ein weiteres Problem hinzu: „Der Biohandel ist seit 30 bis 40 Jahren am Markt, jeder Mensch weiß, was Bio ist. Unverpackt gibt es seit sieben, acht Jahren – das ist eine ganz andere Ausgangslage, die Branche ist noch sehr jung.“ Dementsprechend habe sie noch keinen festen Kundenstamm und von den potenziellen Neukunden wüssten viele gar nicht, was das überhaupt ist.

Aber Attila Flöricke wäre kein Coach, hätte er keine Strategien parat. So sei die Kundschaft der Läden eine ganz besondere. „Es gibt das Konzept der Solidarität: Die Kunden zahlen pro Monat einen Beitrag, für den sie etwas kaufen können. Schöpfen sie diesen Beitrag nicht aus, stellen sie ihm dem Geschäft zur Verfügung“, erklärt er. Diese Praxis gebe es bereits in mehreren Geschäften. 

Auf Werteebene ansprechen

Eine weitere Stärke der Unverpacktläden ist die werteorientierte Zielgruppe. „Wem Müllvermeidung sehr wichtig ist, der geht nicht woanders hin. Gehen Sie mal in einen Bioladen, was es da an Verpackungen gibt, auch dort sind Produkte in Plastik verpackt“, sagt Flöricke. Wer auf der Werteebene angesprochen werde, sei auch bereit, mehr Geld auszugeben.

In Baden-Württemberg betreut Flöricke derzeit zwölf Läden, bundesweit sind es mehr als 80. Aus seiner Erfahrung kennt er auch das Phänomen der Genossenschaftsläden wie in Nürtingen. „Da gibt es das Problem vieler Mitglieder, die sich mit der Mitgliedschaft quasi freikaufen und Genosse werden, dann aber nicht mehr dahingehen. Ich habe alleine drei Genossenschaftsläden abgewickelt. Die Kunst dort sei es, die Mitglieder auch zum regelmäßigen Einkaufen zu bewegen. Auch würden unternehmerische Entscheidungen in Strukturen einer Genossenschaft länger dauern.

Einzelunternehmerin Laura Bäßler ist froh, dass sich das Eigenhändig selbst trägt und sie Dinge machen kann, hinter denen sie voll steht. Dabei geht es auch ihr um Werte und deren Vermittlung: So will sie im Nebenraum Kurse anbieten, die mit Nachhaltigkeit und bewusstem Leben zu tun haben.