Inklusion
Das gute Gefühl, gebraucht zu werden

An Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt fehlt es für Menschen mit Handicaps nach wie vor. Bei den Werkstätten Esslingen-Kirchheim werden für sie jetzt Kurse mit IHK-Zertifikat angeboten. 

Arbeg-Gruppenleiter Alexander Riefler im Kirchheimer Café Mittendrin mit Christina, Almedina und Sevban (von links). Foto: Katja Eisenhardt

Christina, Almedina und Sevban sind stolz. Sie haben ihre Prüfung als „Assistent/Assistentin im Gastgewerbe“ (IHK) erfolgreich bestanden, ebenso wie drei weitere Absolventen des einjährigen Zertifikatslehrgangs der WEK (Werkstätten Esslingen-Kirchheim) und der Arbeg Inklusion in Wernau. „Wir waren der erste Kurs in Wernau“, berichten die drei beim Treffen im Café Mittendrin in Kirchheim, in dem Chris­tina (46) arbeitet. Ebenso wie das Café Sonne in Esslingen und der Lebensmittelmarkt in Plochingen, in dem Almedina und Sevban (beide 26) im Einsatz sind, gehört es zu den WEK-Einrichtungen. Der Kurs, der einmal wöchentlich stattfand, sei von Sabine Weller und Stephan Baur geleitet worden: „Sie haben uns toll auf die Prüfung vorbereitet“, sagt Sevban. Während im Praxisteil unter anderem viel gekocht und gebacken wurde, zählten zum Theorieblock Themen wie Hygiene, Arbeitsschutz, Ernährung oder auch das eigene Auftreten und der Umgang mit Kunden und Gäs­ten, erfährt man von den drei Absolventen. „Das hat viel Spaß gemacht, wir haben viel gelernt“, erzählt Almedina. 

Chance auf dem Arbeitsmarkt

Sie alle sind glücklich, einen Arbeitsplatz gefunden zu haben, dessen Anforderungen sie mit ihren jeweiligen Handicaps erfüllen können. „Allgemein können das zum Beispiel Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten, eine Lese-Rechtschreib-Schwäche, Sprachprobleme oder auch Ängs­te sein“, zählt Christina einige der Einschränkungen auf, die unter den Kursteilnehmenden vorliegen und die es ihnen erschweren, auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen. Die 46-jährige Kirchheimerin ist in einem Familienbetrieb in der Gastronomie aufgewachsen und hat eine Ausbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe absolviert. Mit dem Lehrgang bei der Arbeg habe sie nochmals aufgefrischt, was sie früher gelernt habe, und neues Selbstbewusstsein getankt. Die Aufgabe im Café Mittendrin ist für Christina ebenso wie für alle anderen Absolventen eine neue Chance. „Einen normalen Acht-Stunden-Tag würde ich nicht schaffen“, sagt die 46-Jährige. Im Café Mittendrin dagegen, in dem sie vier Tage die Woche für je fünf Stunden im Einsatz sei, werde individuell auf die Mitarbeitenden eingegangen. „Wenn es zum Beispiel sehr voll und entsprechend laut ist, dann muss ich mich zwischendurch kurz zurückziehen und arbeite dann in der Frühstücksküche weiter. Oder wenn die Konzentration nachlässt, dann kann man auch mal eine zusätzliche Pause machen. Man hat hier weniger Druck“, schildert Christina ihr Arbeitsumfeld: „Bei der Arbeit im Café macht mir besonders der Umgang mit den Gästen Spaß und wir sind hier einfach auch ein tolles Team.“ 

Das IHK-Zertifikat trotz der eigenen Handicaps nun in Händen zu halten, sei ein großes Erfolgserlebnis, sagt Christina. „Es ist eine Chance, Arbeit zu bekommen. Ganz wichtig ist es auch, eine Tagesstruktur zu haben“, erklärt Sevban, „und das besonders bei einer psychischen Erkrankung“, ergänzt Christina. Man bekomme von den Kunden im Lebensmittelgeschäft und den Gästen im Café viele positive Rückmeldungen. Das gebe einem das Gefühl, gebraucht zu werden, schildern die drei ihre Eindrücke. 

Programm der Lebenshilfe

Seit 2024 besteht die Kooperation der WEK mit der Lebenshilfe Bamberg, die verschiedene Lehrgänge im Rahmen eines speziellen Bildungsprogramms – „netZ“ (Netzwerk Zertifikatslehrgänge) – für Menschen mit Behinderung entwickelt hat. „Die Lehrgänge – bei der Arbeg in Wernau ist jetzt als zweiter Fachbereich noch jener zum Alltagsbegleiter/Assistenten im Seniorenheim dazugekommen – basieren auf den Grundlagen des allgemeinen Berufsbildungsgesetzes“, erklärt Arbeg-Gruppenleiter Alexander Riefler. Die erworbenen Kompetenzen können so entweder in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt genutzt werden. Das IHK-Zertifikat biete die Option zur Weiterqualifizierung zum Fachpraktiker, so Riefler: „Die Inklusion, gerade auch auf dem Arbeitsmarkt, ist zwar ein großes Thema, wird aber noch zu wenig umgesetzt.“

Aktuell wenden über 90 Werkstätten in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen das Konzept zur Erhöhung der Chancengleichheit und beruflichen Teilhabe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt der Lebenshilfe Bamberg an. „Derzeit gibt es insgesamt 14 verschiedene Lehrgänge, jährlich kommen zwei neue dazu“, erzählt Alexander Riefler. Man orientiere sich dabei am Bedarf auf dem Arbeitsmarkt: „Wir bieten in Wernau derzeit die Ausbildung zur Assistenz im Gastgewerbe und im Seniorenheim an, das sind beides Felder, in denen dringend Leute gebraucht werden“, erklärt Riefler.  

DasProjekt „netZ“ der Lebenshilfe Bamberg wurde von der Bundesgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen mit dem „exzellent“-Preis 2024 als Gewinner in der Kategorie Bildung ausgezeichnet.