Kirchheim
Das Kirchheimer Frauenhaus ist am Limit

Häusliche Gewalt Frauen, die von ihren Partnern bedroht werden, erhalten im Kirchheimer Frauenhaus Schutz. Der Bedarf ist so groß, dass manche Betroffene sogar weitervermittelt werden muss. Von Heike Siegemund

Das Thema Gewalt an Frauen „hat nicht an Aktualität verloren – und es wird leider nicht besser, trotz vieler guter Maßnahmen“, sagt Irmgard Pfleiderer, Vorsitzende des Kirchheimer Vereins „Frauen helfen Frauen“ und hauptamtliche Mitarbeiterin. Fast täglich lese man in der Zeitung von Übergriffen auf Frauen – so erst kürzlich, als in Wendlingen eine Frau auf der Straße von ihrem Lebensgefährten zusammengeschlagen worden war. Es sei innerhalb weniger Wochen schon der dritte Fall ähnlicher Art in der Region um Stuttgart gewesen.

Schutz können betroffene Frauen in Frauenhäusern finden – ein solches gibt es auch in Kirchheim. Der Verein „Frauen helfen Frauen“ ist Initiator und Träger des Frauenhauses in der Teckstadt, das insgesamt zwölf Plätze für Frauen und ihre Kinder bietet. Dort finden die Betroffenen Zuflucht und Sicherheit und erhalten eine Chance auf einen Neuanfang. Unterstützt und beraten werden sie von den Mitarbeiterinnen; auch der Austausch mit anderen Betroffenen kann helfen. Die Adresse des Frauenhauses ist streng geheim, sodass die Täter (in der Regel handelt es sich dabei um die Ehemänner) den Aufenthaltsort der Frauen nicht ausfindig machen können.

„Wir haben immer Anfragen und müssen Frauen sogar oft auch abweisen und an andere Frauenhäuser weitervermitteln“, berichtet Irmgard Pfleiderer. Nur zu Corona-Hoch-Zeiten habe man das Frauenhaus aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht voll belegen können – ansonsten sei das Haus immer voll ausgelastet. Eva Vogelmann, Gründungsmitglied des Vereins, der seit 30 Jahren besteht, ergänzt: Gewalt im häuslichen Bereich geschehe bei Weitem nicht nur bei Bürgergeldempfängern – „Gewalt gibt es auch in höchsten bürgerlichen Kreisen“.

Viel Beratungsarbeit

Eine wesentliche Säule des Vereins ist die Beratungsarbeit, die sehr umfangreich sei, betont Irmgard Pfleiderer. Die körperlich oder seelisch misshandelten Frauen erhalten Informationen und praktische Hilfen, sodass erste Schritte eines Neuanfangs gelingen können. In Beratungsgesprächen haben die Frauen die Möglichkeit, über die erfahrene Gewalt zu sprechen und eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Die Mitarbeiterinnen unterstützen die Frauen auch beim Kontakt mit Behörden wie dem Jobcenter und informieren sie über finanzielle und rechtliche Fragen. „Wir helfen auch bei der Jobsuche, bei der Suche nach einem Kindergartenplatz oder vermitteln therapeutische Hilfe, wenn dies notwendig ist“, ergänzt Irmgard Pfleiderer. Im Frauenhaus halten sich die Betroffenen bis zu drei Monate auf – manche auch länger, weil es aktuell schwierig sei, eine bezahlbare Wohnung für die Frauen zu finden, gibt die Sozialpädagogin zu bedenken.

Auch eine Beratung nach dem Auszug aus dem Frauenhaus bieten die Mitarbeiterinnen an – ebenso telefonische oder persönliche Beratungsgespräche für jede Frau, die zwar nicht im Frauenhaus lebt, die aber körperlicher oder seelischer Gewalt ausgesetzt oder davon bedroht ist. „Zu unserem Job gehört außerdem die Interventionsstelle“, informiert Irmgard Pfleiderer weiter. Dahinter verbirgt sich ebenfalls Beratung für Frauen nach einem Polizeieinsatz, wenn gegenüber dem gewalttätigen Partner ein Wohnungsverweis ausgesprochen wurde.

Die Geschichte des Frauenhauses in Kirchheim

30 Jahre Hilfe für Frauen: eine lange Zeit, die sicherlich nicht immer einfach war. Das bestätigt Eva Vogelmann, Gründungsmitglied des Vereins „Frauen helfen Frauen“. Sie erinnert sich noch genau an die Gründungszeit: „Wir waren eine Gruppe von Frauen, die an frauenpolitischen Themen interessiert waren.“ Als damals Kommunalwahlen anstanden, organisierten die Frauen eine Podiumsdiskussion, bei der über die Probleme von Frauen gesprochen werden sollte. Denn Frauen­themen seien in den Wahlprogrammen so gut wie nicht vorgekommen, ergänzt Eva Vogelmann. Letztlich gelang es, dass der neu gewählte Gemeinderat für den Haushalt des Jahres 1993 einen Betrag in Höhe von 10 000 Deutsche Mark für „Frauen in Not“ aufnahm. „Es war aber nicht definiert, wer das Geld abrufen konnte.“ Deshalb gründete sich der Verein „Frauen helfen Frauen“, dem schließlich die 10 000 DM zur Verfügung gestellt wurden.

Begonnen hatte die Arbeit des Vereins mit zwei sogenannten Notwohnungen für von Gewalt betroffene Frauen, die die Stadt Kirchheim zur Verfügung stellte. Es handelte sich um zwei frühere Obdachlosenwohnungen, die die Vereinsmitglieder zunächst „komplett renovieren“ mussten, erinnert sich Eva Vogelmann. Die Materialien habe man von ortsansässigen Firmen „erbettelt“. Es seien unzählige Arbeitsstunden gewesen, die die Vereinsmitglieder investierten, ergänzt Irmgard Pfleiderer.
Das Engagement der Vereinsmitglieder überzeugte mehrere Stiftungen sowie Privatleute und Vereinigungen, die Geld spendeten. Der Verein erhielt außerdem Geld des Regierungspräsidiums Stuttgart und aus dem Spendentopf der Weihnachtsaktion des Teckboten. So gelang es, dass aus den beiden anfänglichen Notwohnungen ein richtiges Frauenhaus entstand, das sich im Besitz der Stadt Kirchheim befindet.

Trotzdem war die finanzielle Situation oft angespannt. Mehrmals sei das Frauenhaus in den vergangenen Jahren wegen Geldmangels kurz davor gestanden, schließen zu müssen, sagt Eva Vogelmann. Inzwischen gewährt der Landkreis Esslingen eine Finanzierung nach Tagessätzen. Außerdem finanziert sich der Verein über Mitgliedsbeiträge, Spenden und Bußgelder, die verurteilte Täter leisten müssen. hei

 

Die aktuelle Situation

Im Lauf der Zeit zeigte sich, dass es schwierig war, die umfangreiche Arbeit des Vereins „Frauen helfen Frauen“ ausschließlich mit Ehrenamtlichen zu stemmen, blickt Eva Vogelmann auf die vergangenen Jahre zurück. Es sei unabdingbar gewesen, für eine professionelle Begleitung der Frauen und Kinder sozialpädagogisches Fachpersonal einzustellen. Leider sei es nicht überall gut angekommen, dass zuerst eine und später eine weitere Personalstelle geschaffen wurde. „Denn wir waren doch als Ehrenamtliche angetreten.“ Im Gemeinde- und Kreisrat habe viel Überzeugungsarbeit geleistet werden müssen, um zu erklären, wo die Grenzen des Ehrenamts liegen und wo auf Fachkräfte nicht verzichtet werden kann.

Dem Verein gehören aktuell zwischen 60 und 70 Mitglieder an. Es gibt fünf hauptamtlich Tätige in Teilzeit sowie zwischen fünf und zehn aktive Ehren­amtliche. Angeboten werden zum Beispiel auch Sprachunterricht, eine Laufgruppe oder Schwimmunterricht für die Kinder der betroffenen Frauen.

Die Adresse des Frauenhauses in Kirchheim ist öffentlich nicht bekannt, damit die Frauen und Kinder eine sichere Zuflucht finden. Inzwischen gibt es in Deutschland aber auch ein anderes Modell: In Heilbronn beispielsweise hat ein sogenanntes Open-House-Haus eröffnet, bei dem die Adresse des Frauenhauses nicht geheim ist. Dort gibt es stattdessen ein Sicherheitssystem mit Über­wachungskameras und weiteren Schutzvorkehrungen. „In den Niederlanden wird dieses Konzept schon länger praktiziert mit gutem Erfolg“, weiß Irmgard Pfleiderer. Trotzdem gebe es auch dort weiterhin anonyme Schutzwohnungen für hochbedrohte Frauen. hei