Kirchheim
Das lange Warten

Ausgebremst Mario Mertel saß über 80 Stunden auf dem Militärflughafen in Kent fest. Am zweiten Feiertag fuhr er in den Hof der Dettinger Spedition Diez ein. Von Iris Häfner

Deutlich besser als vergangene Woche“, sagt Mario Mertel aus Dettingen auf die Frage, wie es ihm geht. Ein Interview im SWR machte ihn auf einen Schlag bekannt und bescherte ihm innerhalb kürzester Zeit eine große Fangemeinde. Das ganze Ländle fieberte mit, ob der junge Lkw-Fahrer doch noch die Teck an Weihnachten sieht und mit seiner Familie und Freunden feiern kann. Mario Mertel war einer der Tausenden Trucker, die urplötzlich vor den Feiertagen auf einem Militärflughafen in Kent wegen des mutierten Corona-Virus‘ festsaßen. „80 Stunden und 36 Minuten“, sagt Mario Mertel wie aus der Pistole geschossen gestern am Telefon, denn für ihn gab es doch noch ein Happy End. Am gestrigen Montag sitzt er in seinem Büro bei der Spedition Diez und arbeitet seine E-Mails ab. In seiner ungeplant langen Abwesenheit ist doch Einiges auf dem Schreibtisch liegen geblieben. Das will er noch im alten Jahr abarbeiten, auch wenn ihm sein Chef Urlaub angeboten hat.

Von wegen „Driving home for christmas“

Nicht im geringsten konnte er mit diesem Insel-Abenteuer rechnen. „Driving home for christmas“ war zunächst im wahrsten Sinn der passende Song kurz vor den Feiertagen auf dem Weg nach Hause. Doch die Fahrt wurde jäh bei Dover gestoppt - nichts ging mehr, gestrandet im Nirgendwo mit Tausenden Kollegen aus aller Herren Länder. „Am Anfang war die Stimmung noch ganz in Ordnung, aber je länger es ging, desto aggressiver wurde sie. Alle hatten schlechte Laune“, erzählt Mario Mertel. Das lag nicht zuletzt daran, dass es keinerlei Informationen von irgendwo her gab. „Ich war Gott froh an unserer Dispo, die haben mich so gut es geht auf dem Laufenden gehalten und sind hinter mir gestanden. Viele andere Fahrer waren auf sich gestellt“, sagt der Dettinger. Auch seine Chefs schalteten sich ein, versuchten an Informationen bei Landespolitikern zu kommen, allerdings mit mäßigem Erfolg.

Doch dann ging es am ersten Weihnachtsfeiertag Schlag auf Schlag. Um 7 Uhr ging Mario Mertel zum Corona-Test in den Hangar, gegen 7.30 Uhr teilte ihm ein Soldat mit, dass er negativ ist. Wieder war nervtötendes Warten ins Leere angesagt. „Zmol ging‘s vor mir Schlag auf Schlag“, erzählt er. Ein Lkw nach dem anderen vor ihm fuhr los, dann konnte auch er starten. „Hauptsache runter von dem blöden Flughafen“, war sein Gedanke. Als er den kilometerlangen Lkw-Stau hinter sich auf dem Weg zur Fähre sah, beschlichen ihn doch gemischte Gefühle. „Da war schon Mitleid mit den Kollegen da“, sagt er. Um 16.30 Uhr war er auf der Fähre, um 21 Uhr in Frankreich. Das Ziel Dettingen vor Augen ging‘s gen Süden. Als sein Chef, der in Stuttgart wohnt, mitbekam, dass er gerade an der Landeshauptstadt vorbeifuhr, hat der sich kurzerhand ins Auto gesetzt. „Am Rübholz hat er mich eingeholt und dann bis zur Spedition begleitet. Auf dem Hof stand auch schon ein Empfangskomitee. Das war alles ganz schön emotional“, erzählt er.

Diese intensive Zeit auf der Insel weckt dagegen nicht die besten Erinnerungen wach. „Dia Englendr sehad mi so schnell nemme“, sagt Mario Mertel aus tiefstem Herzen. Sein Schwäbisch und seine authentische Art hat ihm wiederum in der Heimat die Herzen zufliegen lassen. Die SWR-Hörer haben ihm ihre Sympathien zuhauf bekundet. „Dass so viele Leute an mich gedacht haben, ist toll. Da kann ich nur Danke sagen“, sagt er und bedauert, dass er bei „so ma Haufa“ Nachrichten, nicht alle so ausführlich beantworten konnte, wie er eigentlich wollte.

Die nächste Tour geht nach Finnland

Die nächsten paar Tage hat Mario Mertel, der Schlagzeuger beim Musikverein Dettingen ist, für Familie und Freunde Zeit. Am 4. und 5. Januar ist nochmal Bürozeit angesagt, ehe es am 7. Januar nach Finnland geht. „Ich freu‘ mich auf die schöne Landschaft und bin gespannt drauf, wie es um diese Jahreszeit dort ist. Ich war zwar schon in Schweden, aber noch nie in Finnland. Notfalls kann man von da über Umwege auf dem Festland nach Hause fahren“, hat Mario Mertel Plan B schon in der Tasche. Vor allem aber hofft er auf Polarlichter - und die sind ihm zuhauf nach seinem Zwangsaufenthalt zu wünschen.