Kirchheim
Das Leben selbst bestimmen

Inklusion Das „Café Mittendrin“ im Steingau-Quartier ist seit zwei Monaten geöffnet. Es bietet Menschen mit Behinderungen einen abwechslungsreichen Arbeitsplatz und die Teilhabe am sozialen Leben. Von Thomas Krytzner

Seit fast 40 Jahren unterstützen die Werkstätten Esslingen-Kirchheim (WEK) Menschen mit Behinderungen. Die Grundidee, Arbeit im geschützten Rahmen zu bieten, blieb zwar bestehen, jedoch hat sie sich im Lauf der Jahre weiterentwickelt. Volker Ditzinger, Geschäftsführer der WEK, präzisiert: „Wir wollen mehr in die Fläche gehen und den Menschen mit Behinderungen ortsnah die Teilhabe am sozialen Leben ermöglichen.“ Daher werden sie bereits seit Jahren auch in Cafés und anderen Gruppen der WEK. „Unser Ziel ist es, Menschen mit Handicap zu unterstützen, damit sie ein Leben mit Selbstbestimmung führen können“, erläutert Volker Ditzinger. Im neu eröffneten „Café Mittendrin“ im Kirchheimer Steingau-Quartier arbeiten deshalb hauptsächlich Mitarbeiter mit Behinderung.

Anita Erdmann ist von Anfang an mit Begeisterung dabei. „Ich wollte mal etwas anderes machen, als nur täglich in der Werkstatt in Kirchheim zu arbeiten“, bestätigt sie. Die Abwechslung im Laden findet sie spannend: „Ich darf im Verkauf mitarbeiten, die Kasse bedienen und schauen, welche Artikel wir im Café brauchen.“

Nur positive Erfahrungen

Aufgrund der Coronaverordnung dürfen die Gäste im gemütlichen Lokal und auf der Terrasse noch nicht Platz nehmen, es bleibt derzeit nur der Verkauf an der Theke. Doch das macht der gebürtigen Kirchheimerin nichts aus. „In dieser Zeit lerne ich schon mal den sicheren Umgang mit der Kasse, damit ich später den Verkaufsvorgang komplett allein machen kann.“ Ihre bisherigen Erfahrungen im Steingau-Quartier waren durchweg positiv, wie sie freudig berichtet: „Die Kunden waren bisher alle nett, und meine neue Arbeit im Café gefällt mir sehr gut, weil alles abwechslungsreicher ist.“

Café-Betreiberin Lilith Morlock beschäftigt seit Jahren Menschen mit Behinderungen, auch in ihrem Café in Plochingen. „Die Zusammenarbeit ist motivierend, weil die Menschen sich freuen, wenn sie aus dem Arbeitsalltag in der Werkstatt in den Verkauf wechseln. Für sie ist das wie ein Aufstieg im Berufsleben.“

Doch das war nicht immer so, bestätigt Volker Ditzinger: „Als wir anfingen, aus den Werkstätten in Esslingen, Kirchheim und Ostfildern-Nellingen rauszugehen, war diese Entfernung aus dem gewohnten, geschützten Rahmen nicht einfach.“ Doch aus der Angst, rauszugehen, sich zu entfalten, wuchs mit der Zeit das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter. „Gemeinsam entdeckten wir neue Fähigkeiten und Begabungen“, bestätigt der WEK-Chef. Lilith Morlock unterstützt den Schritt in die Öffentlichkeit: „Die Menschen mit Behinderung trauen sich mit der Zeit mehr.“ Behinderungen gebe es in verschiedenen Richtungen, erklärt Ditzinger, man könne nicht alles über einen Kamm scheren. „Wir differenzieren daher nicht nach Art der Behinderung, sondern fördern gezielt die Fähigkeiten unserer Mitarbeiter.“ Die WEK bieten dabei ein breites Spektrum. „Wir können Menschen in der Schreinerei, in der Montage oder sogar beim Skiliftbetrieb an der Pfulb beschäftigen“, bestätigt Volker Ditzinger. „Wir wollen Menschen aus ihrem Alltagstrott reißen und an die Anforderungen im Arbeitsmarkt gewöhnen“, beschreibt er die Ziele der WEK.

Lilith Morlock ergänzt: „In den Cafés geben beispielsweise die Kunden das Arbeitstempo vor.“ Sie sieht weitere Vorteile für Menschen mit Behinderungen: „Im Verkauf lernen unsere Mitarbeiter alltagspraktische Fähigkeiten, aber auch den Umgang mit der Hygiene und sie nehmen hautnah am sozialen Leben teil.“ Lilith Morlock ist überzeugt davon, „dass Menschen mit Behinderung eine völlig andere Atmosphäre ins Café bringen und es mit Leben füllen. Einige Kunden kommen sogar nur deswegen zu uns“. Sie erklärt den Unterschied: „In unseren Cafés, sofern der Gastronomiebetrieb hoffentlich bald wieder geöffnet werden kann, bekommen Gäste neben leckeren Produkten auch Zeit für Gespräche mit unseren Angestellten.“