Die Tatsache, dass sich der Kirchheimer Gemeinderat mit einer hauchdünnen Mehrheit von nur einer Stimme dazu entschieden hat, das Wachthaus im Zuge seiner notwendigen Sanierung zu verputzen, anstatt das seit 1957 freigelegte Fachwerk zu erhalten und zu erneuern (wir berichteten), sorgt auf allen Ebenen für Diskussionen. Die Stimmen der Bürgerschaft finden sich in Leserbriefen und vor allem auch in den Sozialen Medien wie Facebook und Instagram. Deutlich wird: Die optische Zukunft des stadtbildprägenden Gebäudes an der Ecke Markt-/Alleenstraße ist ein hochemotionales Thema, das die Kirchheimerinnen und Kirchheimer bewegt. Jetzt wurde vom neu gewählten AfD-Stadtrat Antonio Zeccola eine Online-Petition gestartet, die dazu auffordert, dazu beizutragen, „dass das Wachthaus als historisches Denkmal in unserem geliebten Kirchheim bleibt.“ Gestern Mittag hatten bereits über 600 Personen unterzeichnet.
Wachthaus-Optik bewegt viele
Dass ein Vertreter der AfD hinter der Unterschriftensammlung steht, sorgt im Netz ebenfalls für Diskussion: „Unglaublich. Der neue AfDler im Gemeinderat startet eine Petition für den Erhalt des Fachwerks vom Wachthaus und schmückt sich mit Beliebtheit – ohne dass die Unterstützer merken, um wen es sich handelt. Sehr ärgerlich“, heißt es etwa in einem Kommentar. Unter einem Post von Stadträtin Natalie Pfau-Weller (CDU) zur Entscheidung des Gemeinderats findet sich auf diese Petition bezogen eine „Aufforderung an die demokratischen Parteien, wie die CDU, selbst aktiv zu werden und ein polarisierendes Thema nicht den Populisten zu überlassen“. Schnell machte eine zweite Petition am gestrigen Mittag online die Runde, ebenso für den Erhalt des Fachwerks, aber als Alternative zur AfD-Variante. Auch hierfür fanden sich schnell zahlreiche Unterstützer.
Diskutiert wird auf den Plattformen kontrovers: „Ohne sichtbareres Fachwerk ist das Haus unsichtbar und langweilig“, „Kirchheim schafft sich ab“, „4,4 Millionen Euro gegen den vermuteten Bürgerwillen“, so ein Auszug aus den überwiegenden Pro-Fachwerk-Kommentaren. Die Mehrkosten für die bei einem Fachwerk-Erhalt notwendigen Eichenbalken müssten klar benannt und dann noch mal neu entschieden werden, lautet eine weitere Aufforderung in Richtung Gemeinderat und Stadtverwaltung. Andere gehen auf die seitens des Architekten Peter Cheret im Gemeinderat vorgebrachten Erläuterungen ein, was den schlechten Zustand der Fachwerk-Fassade angeht. Man hätte das Fachwerk erhalten können, hätte man sich in den vergangenen Jahrzehnten seiner Freilegung regelmäßig um dessen Pflege gekümmert, sodass es gar nicht bis zum aktuell maroden Zustand gekommen wäre, wird unter anderem kritisiert: „Beim Rathaus scheint das zu funktionieren, beim Wachthaus wurde es über Jahre sträflich vernachlässigt. Das ist der Skandal“, so einer der Kommentare. Unverständnis gibt es auch dafür, dass für den Rathausneubau im Vergleich „ohne mit der Wimper zu zucken 20 Millionen eingesetzt werden“. Man dürfe die Gebäude, die Kirchheim einzigartig machen, „nicht mit fadenscheinigen monetären Argumenten verschandeln“, heißt es.
Eine Kirchheimerin erklärt auf Instagram, die Tatsache, dass man das Wachthaus aus bekannten Gründen verputze, könne sie „im Sinne der Erhaltung des Gebäudes nachvollziehen“, ergänzt allerdings: „Lieber weinen wir eine weitere Träne und nehmen es in Kauf, so das historische Gebäude noch für lange Zeit zu erhalten. Lieber so und vielleicht mit aufgemaltem Fachwerk oder passend zum Stadtbild schön klassisch verputzt und geschützt.“ Keine Alternative seien der Abriss und ein „neuer, hässlicher Bunker“.
Wie Architekt Peter Cheret dem Gemeinderat erläuterte, können im aktuellen Zustand gerade mal 30 Prozent der Fachwerkbalken gerettet werden. Bliebe das Fachwerk weiterhin nach der Sanierung sichtbar, so wäre zusätzlich alle zwei Jahre mit Wartungskosten von rund 20.000 Euro und etwa alle fünf bis zehn Jahre mit Instandhaltungskosten von 140.000 Euro zu rechnen.