Soll die Corona-Impfung verpflichtend werden, sobald sie allgemein verfügbar ist? Giancarlo Crescente, Schüler der Kirchheimer Freihof-Realschule, hat diese Frage kürzlich mit einem vehementen Nein beantwortet. Eines seiner Haupt- Argumente: „Wenn die Herdenimmunität bereits durch Impfungen auf freiwilliger Basis erreicht ist, muss der vergleichsweise kleine Rest der Bevölkerung nicht zum Impfen verpflichtet werden.“
Das klingt gut, das klingt vernünftig, das klingt nachvollziehbar. Aber ist das wirklich die Meinung des Zehntklässlers zu diesem Thema? So genau lässt sich das nicht sagen. Genauso gut hätte er die Frage mit Inbrunst bejahen können. Er hätte dann mit höchstrichterlicher Rechtsprechung argumentiert: „Impfpflichten gab es auch schon vor Corona, bei den Pocken. Laut Bundesverfassungsgericht war die Pflicht zum Impfen damals verfassungskonform.“
Giancarlo muss „Contra“ geben
Auch das klingt gut, vernünftig und nachvollziehbar. Was aber will Giancarlo Crescente nun wirklich zu diesem Thema sagen? Im Prinzip beides. Er hätte auch beide Meinungen „offiziell“ vertreten, beim Landeswettbewerb „Jugend debattiert“. Er hatte sich auf beide Argumentationen vorbereitet. Aber vor dem Finale wurde ihm eben mitgeteilt, dass er die „Contra“-Seite einzunehmen hat.
So laufen die Regeln bei „Jugend debattiert“: Man bereitet sich auf alles vor und nimmt dann eine kurzfristig bestimmte Position ein - unabhängig von der eigenen Meinung. Es kann passieren, dass man auch das Gegenteil dessen vertreten muss, was man eigentlich denkt. Das ist die gute, alte Tradition, den „Advocatus Diaboli“ zu geben - laut Duden „jemand, der um der Sache willen mit seinen Argumenten die Gegenseite vertritt, ohne selbst zur Gegenseite zu gehören, oder jemand, der bewusst Gegenargumente in eine Diskussion einbringt, um sie zu beleben“. Belebt sind sie also auf jeden Fall, diese organisierten Debatten der engagierten Jugend.
Giancarlo Crescente hat beim Landeswettbewerb den dritten Platz belegt - und ist über diesen Erfolg genauso froh wie über die Erfahrung, durch den Wettbewerb das Argumentieren besser gelernt zu haben. Denselben Vorteil sieht auch Luca Sigmund aus seiner Parallelklasse, die es ebenfalls in den Regionalwettbewerb geschafft hatte: „Man lernt, besser zu sprechen, sich besser auszudrücken und zu diskutieren. Und man beschäftigt sich mit Themen, mit denen man sich sonst nie beschäftigen würde.“ Das gilt etwa für die Fragen, ob in Deutschland neue Autobahnen gebaut werden sollen, ob die private Nutzung von Drohnen verboten werden soll oder ob man in der Schule lernen sollte, wie man Vermögen bildet. Diese Themen sind aktuelle Beispiele von „Jugend debattiert“.
Die Themen werden den Jugendlichen eine Woche vor dem Wettbewerb übermittelt, sodass sie sich intensiv darauf vorbereiten können. Welche Position sie vertreten, erfahren sie erst kurzfristig. Aber wie sie sich schließlich beim Impfen gegen Corona im tatsächlichen Leben verhalten wollen, darüber können sie noch ein wenig länger nachdenken, bevor es für sie zur Realität werden dürfte. Immerhin: Mit den notwendigen Argumenten für diesen Denkprozess haben sie sich auf jeden Fall schon selbst vertraut gemacht.