Kirchheim
Den Menschen hinter der Maske erkannt

Fotografie Der Kirchheimer Student Christopher Bindig hat in der Isolation seines Viertels in Barcelona mit Leere und Stille ganz besondere Erfahrungen gemacht und sie fotografisch festgehalten. Von Thomas Zapp

Christopher Bindig wohnt derzeit in einem der angesagten Viertel Barcelonas. Im „El Born“ am Rande des Gotischen Viertels der katalanischen Metropole treffen Studenten, Touristen und Kreative zusammen. Normalerweise. Durch die strikte Ausgangssperre in Spanien, die momentan wieder etwas gelockert worden ist, war das Viertel wochenlang wie ausgestorben. In Spanien war während des „Lockdowns“ außer Einkäufen und den Hund auszuführen jegliche Aktivität strengstens verboten, und das wurde mit starker Polizeipräsenz überwacht. Für den Kirchheimer Studenten der Stadtplanung, der in Barcelona ein Auslands- praktikum absolvierte, brachte die neue Situation zunächst eine innere Einkehr nach intensiven Wochen. „Die ersten zwei Wochen hatte es viel Zeit und Ruhe gegeben. Ich hab eine nette, internationale WG mit vier Mitbewohnern, da gab es viel Zeit für gute Gespräche“, sagt der 28-Jährige. In der Zeit danach habe er sich aber mehr und mehr gefangen gefühlt. Die pulsierende Stadt war lahmgelegt, auch die sonst so rebellischen Katalanen gehorchten und stellten jede Art von Demonstration ein.

Fotoleidenschaft neu entdeckt

Christopher Bindig, der nach seiner Schulzeit in Hamburg eine Ausbildung zum Fotoassistenten absolviert hatte, fand einen Ausweg aus der Isolation. Er begann, getarnt mit einer Einkaufstüte und einem Alibi-Produkt, auf Streifzügen durch sein Viertel Fotos zu schießen. Einkaufen durfte er ja gehen, den Fotoapparat, der sein eigentliches Motiv verriet, versteckte er hinter der Tüte. Neben den leeren Plätzen im Born-Viertel fielen ihm plötzlich auch die Leute auf, die er vom Sehen kannte und die jetzt hinter einer Maske steckten. „Das Umfeld war völlig ruhig und reduziert, man nahm die Personen stärker wahr“, schildert er seine Eindrücke.

Der Student aus Alemania, der am Telefon ruhig und fast zurückhaltend wirkt, begann damit, ungeachtet der Masken, die Leute anzusprechen. Er fragte sie einfach, ob er sie fotografieren durfte. Die meisten reagierten erfreut, manche sogar stolz auf ihre unerwartete Rolle als Motiv. „Ich hab einen neuen Bezug zur Nachbarschaft bekommen. Der Kontakt ist auf jeden Fall intensiver geworden“, sagt er. Er selbst habe die Menschen in seinem Umfeld intensiver wahrgenommen und fühlt sich seitdem in dem Viertel auf eine besondere Weise verwurzelt.

Freiwillig dort geblieben

Obwohl sein Praxissemester bereits am 1. April offiziell beendet war, hat der gebürtige Kirchheimer bislang noch keinen der wenigen Rückflüge zu seinem Studienort Wien genommen, auch wenn er dort deutlich mehr Freiheiten genießen könnte. „Ich habe mich entschieden, hier zu bleiben“, erzählt er. Seine Masterarbeit über Stadtentwicklungsprojekte in Barcelona wird er nun vor Ort fertig schreiben und dabei weiterhin seine wiederentdeckte Passion vorantreiben. „Urbanismus und Fotografie sind meine zwei Leidenschaften, das ist mir hier in dieser Zeit noch einmal klarer geworden“, sagt er rückblickend. Für Christopher Bindig hat die Corona-Zeit auch persönlich einige Dinge deutlicher gemacht - und ihm ganz nebenbei sein temporäres Wohnviertel mit seinen Bewohnern näher gebracht.