Kirchheim. Die Ereignisse haben sich gestern überschlagen. Zuerst gab es den parteiübergreifenden Aufschrei über die Wahl von Thomas Kemmerich zum FDP-Ministerpräsidenten von Thüringen, dann gab er seinen Rücktritt bekannt. Das hatte auch Folgen für den FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner. Er will die Vertrauensfrage im Parteivorstand stellen.
An Deutlichkeit sind die Worte von Michael Hennrich, CDU-Bundestagsabgeordneter im hiesigen Wahlkreis, nicht zu überbieten: „Ich kann nur noch mit Sarkasmus reagieren. Man fragt sich ernsthaft, was mit dieser Aktion bezweckt werden sollte.“ Für ihn hatte die Wahl von Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten „Null Perspektive“, weshalb sich ihm die weitere Frage stellt, was dieses Manöver sollte. „Das alles führt nur zu weiterer Politikverdrossenheit, zur Spaltung der Bürgerschaft - und zur Spaltung der Volkspartei CDU“, ärgert er sich. Die politische Kultur leide bei solchen parlamentarischen Aktionen. „Der Landtag in Thüringen hat der Politik einen Bärendienst erwiesen. Das ist bitter“, sagt der CDU-Politiker. Ganz offensichtlich sei sämtlichen Beteiligten die Tragweite ihrer Entscheidung nicht bewusst gewesen. „Jetzt müssen wir die Suppe auslöffeln, die uns Thüringen eingebrockt hat“, befürchtet er nichts Gutes für die Bundespolitik.
„Er hätte nicht annehmen sollen“
„Diese Entscheidung war eigentlich zu erwarten. Diesen konsequenten Schritt musste er gehen“, sagt Renata Alt, Bundestagsabgeordnete der FDP, über den Rücktritt von Thomas Kemmerich. Bis zum Wahlkampf in Thüringen war er ihr Parteikollege im Bundestag. Dort hat sie ihn als Macher und lösungsorientierten Menschen kennengelernt. „Er hat überhaupt nicht damit gerechnet, Ministerpräsident zu werden. Er hat immer wieder signalisiert, dass er aus der Mitte heraus regieren will mit CDU, SPD und Grünen. Er wollte die SPD-Minister im Amt lassen und eine Politik der Mitte machen“, sagt Renata Alt. Die einen würden schneller erkennen, wie sie zu reagieren haben, die anderen bräuchten etwas länger. „Als Thomas Kemmerich klar war, dass er mit den Stimmen der AfD gewählt wurde, ist er zurückgetreten. Es wäre besser gewesen, er hätte die Wahl zum Ministerpräsidenten gar nicht angenommen. Die Reaktionen haben ihm gezeigt, welchen Weg er gehen musste“, erklärt sie. Der Tabubruch reicht für sie jedoch weiter zurück. „Das war im Herbst 2019, als die AfD zweitstärkste Partei im Thüringer Landtag wurde. Es muss jedem klar werden, was es heißt, extreme Parteien in ein Parlament einziehen zu lassen“, gibt sie zu bedenken. Iris Häfner