Impfen, das setzt noch immer viel Frusttoleranz und Improvisationskunst voraus. Nicht nur bei denen, die um einen Termin kämpfen. Obwohl fast wöchentlich mehr Dosen zur Verfügung stehen, vermissen Ärzte und medizinisches Personal vor allem eines: verlässlich planen zu können. Wolf-Peter Miehe hat in seiner Weilheimer Praxis für diese Woche Impfstoff bestellt und mit seinen Patienten rechtzeitig Termine dafür vereinbart. Einen Tag nach der Bestellung wurde ihm die Liefermenge vom Handel um ein Fünftel gekürzt. Tatsächlich erhalten hat er in dieser Woche schließlich nur die Hälfte der zugesagten Menge. Für ihn bedeutet das: Drei Stunden Planung und Terminvergabe waren umsonst. Die Hälfte der Termine musste wieder abgesagt werden - zeitraubende Diskussionen am Telefon inklusive. Seine Mitarbeiterinnen haben 14 Monate Arbeit unter Pandemiebedingungen in den Knochen. Jetzt bekommen sie Kritik ab, die sie nicht zu verantworten haben.
So wie Miehe, der als Vertreter der Kreisärzteschaft im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen steht, ergeht es zurzeit vielen Praxen. „Wir sind motiviert und werden ausgebremst“, klagt der Weilheimer Mediziner, der in seiner Corona-Schwerpunktpraxis zurzeit mehr als 100 Impfungen pro Woche vornimmt.
In den beiden Impfzentren im Landkreis sieht die Lage ähnlich aus. Zwar wird in Esslingen und in der Messe auf den Fildern seit einem knappen Monat annähernd unter Volllast geimpft, doch auch Einsatzleiter Marc Lippe kann auf die Frage, wie viel Impfstoff ihm in der Folgewoche zur Verfügung stehen wird, nur mit den Schultern zucken. Die fehlende Planbarkeit ist auch hier das größte Problem. Lippe spricht von einer Verteilung nach dem „Gießkannenprinzip“, das die wahre Leistungsfähigkeit der einzelnen Impfzentren kaum berücksichtige. „Wir verimpfen hier restlos alles, was wir haben“, sagt der Bezirkschef der Malteser. Für ihn müssten daher dieselben Regeln wie im Handel gelten: „Wenn ein T-Shirt irgendwo gut läuft“, zieht Lippe den Vergleich, „dann wird schnell nachgeliefert.“
Millionen Dosen unverimpft
Doch wer entscheidet eigentlich, wer wie viel bekommt? Eine Frage, die offenbar weder Haus-ärzte noch die Mitarbeiter in den Impfzentren beantworten können. Marc Lippe spricht von einer „Blackbox“, einem Dunkelfeld. Die Länder werden vom Bund nach ihrem Bevölkerungsanteil beliefert. Die wiederum versorgen ihre Landkreise zu gleichen Teilen. Laut einem Bericht der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) lagern in Impfzentren bundesweit mehr als 3,5 Millionen unverimpfter Dosen. Gleichzeitig folgt die Verteilung an Artpraxen, die vom Pharma-Großhandel beliefert werden, einem Algorithmus, den der Bund festlegt, wie KV-Sprecher Kai Sonntag bestätigt.
Maximal etwa 1600 Impfungen pro Tag waren in den beiden Impfzentren im Kreis Esslingen zum Start im Januar als Ziel einge- plant. Eine Auslastung, die inzwischen erreicht ist, doch es soll mehr drin sein. Bis zu 1800, rechnet Marc Lippe vor, seien mit bestehendem Personal möglich. Dafür werde im Moment die EDV optimiert. Klar ist: Viel mehr Luft nach oben ist nicht. Zwar werden bei Vor-Ort-Aktionen immer wieder Sonderkontingente für Hochbetagte, die nicht mobil sind, verimpft. Doch die werden enden, sobald man mit dieser Altersgruppe durch ist. „Vor-Ort-Aktionen für Unter-60-Jährige wird es ganz sicher nicht geben“, sagt Lippe. Wie die Kreisverwaltung setzt auch er zunehmend auf Arztpraxen und Betriebsärzte. Trotzdem überlegt man im Sozialministerium, die bis Ende Juni geplante Betriebsfrist für die Kreisimpfzentren bis September zu verlängern.