Dialekt
Der Kreis „guckt de Leit uff d’Gosch“

Wo wird wie geredet, und was hat sich dabei verändert? Der Landkreis will mit wissenschaftlicher Hilfe die Sprachgewohnheiten zwischen Alb und Neckar erforschen. 2026 erscheint ein Sprachatlas. 

Auch hier im Landkreis gibt es "Sodde ond Sodde." Ein Sprachatlas soll dokumentieren, wie sich regionstypische Redensarten im Laufe der Zeit verändert haben. Foto: Bernd Köble

Wer verdorbene Lebensmittel regelmäßig „nauskeit“ (wegwirft), über jeden Witz „en Schocha lachd“ (herzhaft darüber lacht) oder nach fröhlich durchzechter Nacht „zom Gruaba henderschefir ens Neschd strackt“ (sich verkehrt herum zur Ruhe bettet), der braucht ihn zum Nachschlagen vermutlich nicht. Mit Interesse erwartet dürfte der angekündigte Sprachatlas für den Kreis Esslingen trotzdem werden. Schließlich trifft das Werk, das Mitte nächsten Jahres erscheinen soll, den Nerv der Zeit. Dialekt ist plötzlich wieder in aller Munde. In Schule und Beruf lange Zeit verpönt, unterstreichen inzwischen auch Ministerpräsidenten und solche, die es werden wollen, ihre sprachliche Bodenhaftung, sprich: Man redet, wie einem der Schnabel gewachsen ist und steht dazu. Die Imagekampagne „DialektLänd“, von Ministerpräsident Winfried Kretschman am Dienstag vorgestellt, hat einen aus seiner Sicht ernsten Hintergrund: Nur noch etwa 15 Prozent der Heranwachsenden in Baden-Württemberg können mit Schwäbisch, Alemannisch, Kurpfälzisch oder Hohenlohisch etwas anfangen. 

Das ist ein unglaublich spannendes Feld.

Kreisarchivar Manfred Waßner über Dialektforschung im Kreis Esslingen.

 

Doch wie wird eigentlich im Kreis Esslingen g’schwätzt? Manfred Waßner lebt am Fuße der Teck in Bissingen, das bekannt ist für seinen „Sai“ (See) mitten im Ort. Geboren in Magolsheim auf der Münsinger Alb verbindet den Kreisarchivar seit jeher eine „unverbrüchliche Liebe“ zum Schwäbischen mit all seinen Ausprägungen. Schließlich ist es oft nur eine Frage weniger Kilometer, ob die Kartoffel zur „Äbier“, „Aibier“ oder „Grombier“ wird. Wo Lautgrenzen verlaufen, wie sie sich im Lauf vieler Jahre verschieben und wo Begriffe ganz verschwinden, weil es Gegenstände oder Tätigkeiten schlicht nicht mehr gibt – spannend.

Der Kreis Esslingen als Siedlungsraum bietet da eine ganz besondere Gemengelage, findet Waßner. Ländlich geprägt an seinen südlichen Rändern, hoch industrialisiert entlang des Neckars, mit entsprechend hoher Fluktuation und in direkter Nachbarschaft zur Landeshauptstadt – wer auf engstem Raum sprachliche Vielfalt sucht, der findet sie wohl am ehesten hier. Dabei war Dialekt lange out. Als einzelne Landespolitiker – darunter auch der Kirchheimer Andreas Kenner (SPD) – vor zwei Jahren den Staub von den Kladden der Sprachforscher pusteten und damit den Anstoß gaben für einen Dachverband der Dialekte, war Waßner Feuer und Flamme. Seit diesem Jahr ist der Kreis dort Mitglied. Symbolik ist das eine, wissenschaftliche Arbeit etwas ganz anderes. Ein Sprachatlas, wie ihn der Tübinger Dialektforscher Hubert Klaussmann vor mehr als zehn Jahren für Nordwürttemberg erarbeitet hat, geht der Veränderung von Dialekt und Sprache im historischen Kontext nach. Die Datenbasis ist teilweise mehr als siebzig Jahre alt und fußt auf den Arbeiten von Arno Ruoff aus den 50er-Jahren, auf den das gleichnamige Archiv an der Uni Tübingen zurückgeht. 

Nach Ostern geht‘s los

Die Ergebnisse zu aktualisieren, „das ist ein unglaublich spannendes Feld,“ sagt Manfred Waßner, der mit dem Kreis nun einen renommierten Experten gewonnen hat: Rudolf Bühler, ebenfalls Sprachwissenschaftler am Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Uni Tübingen, hat bereits in den Landkreisen Rottweil, Freudenstadt und Böblingen Sprachgrenzen neu vermessen. Dafür ist er über die Dörfer getingelt und hat unzählige Gespräche und Interviews geführt. Hier im Kreis geht es nach Ostern los. Die im Sprachatlas dokumentierten Ergebnisse soll es später auch in digitaler Form geben. „Damit könnten wir auch Schulen und andere Bildungseinrichtungen besser erreichen,“ sagt Manfred Waßner. Eines hat der Kreisarchivar aus Bissingen mit dem grünen Landesvater aus Oberschwaben gemein: Auch Winfried Kretschmann ist neugierig darauf, was „DialektLänd“ bewegen kann. Oder wie er sagt: „Mr isch wonderfitzig.“