Kirchheim
„Der Krieg ist der Anfang vom Ende der Ära Putin“

Konflikt Journalist Andreas Zumach ist Experte für internationale Beziehungen und hat mehrere Vorträge in Kirchheim gehalten, zuletzt im Juni. Der Teckbote sprach mit ihm über die neuesten Entwicklungen im Ukraine-Krieg. Von Thomas Zapp 

Herr Zumach, die Ukraine zieht Botschafter Andrij Melnyk ab: ein richtiger Schritt?

Andreas Zumach: Er hat die Taten von Stepan Bandera (nationalistischer ukrainischer Partisanenführer) relativiert und seine Mittäterschaft an Massakern an der polnischen und jüdischen Zivilbevölkerung bestritten. Zweitens hat er die moralische Erpressungskeule ausgepackt, um Deutschland zu Waffenlieferungen zu bewegen, indem er die deutsche Schuld an Gräueltaten an der ukrainischen Bevölkerung im zweiten Weltkrieg erwähnte. Teile der politischen Elite in Berlin haben sich damit erpressen lassen. Und drittens hat er gefordert, russische Komponisten wie Tschaikowski nicht zu spielen, das ist inakzeptabel. Insofern war seine Abberufung überfällig. Die Haltung der ukrainischen Regierung wird sich in der Substanz aber nicht ändern.

 

Nun stehen mit Finnland und Schweden zwei weitere Länder kurz davor, in die Nato einzutreten. Wie bewerten Sie das?

Andreas Zumach: Ich sehe es kritisch, dass zwei neutrale Länder, die eine sehr konstruktive Rolle in der Uno in vielen Bereichen gespielt haben, jetzt der Nato beitreten. Rechtlich sehe ich kein Problem, aber politisch. Aus Moskaus Sicht ist es natürlich schwierig, wenn Russland jetzt eine neue, 1000 Kilometer lange Grenze zur Nato hat. Allerdings hat Finnland betont, keine atomaren Waffen oder Raketen mit großer Reichweite zu stationieren.

 

Gleichzeitig rüsten die Nato-Staaten auf: Sind die Konzepte ,Frieden schaffen ohne Waffen’ und ,Wandel durch Annäherung’ gescheitert?

Andreas Zumach: Bilaterale Verhandlungen und Rüstungskontrolle bleiben wichtig. denn die laufende Aufrüstung beider Seiten mit neuen, destabilisierenden atomaren und konventionellen Waffen ist sehr gefährlich. Was Russland betrifft, bleibe ich dabei: Wir können nicht so tun, als würden die Regierung und die Gesellschaft Russlands auf die nächsten Jahrzehnte unverändert bleiben. Das ist eine fatal falsche Analyse. Vielmehr ist der Krieg der Anfang vom Ende der Ära Putins, und die steigenden Opferzahlen russischer Soldaten, die Moskaus Propaganda derzeit unterdrückt, werden noch eine erhebliche Auswirkung auf die Bevölkerung haben. Wir müssen auf die Zeit nach Putin setzen. Es ist völlig falsch, die Beziehungen auf ziviler Ebene auf Eis zu legen, etwa in Kultur und Wissenschaft. Wir brauchen den Austausch auf ziviler Ebene, um auch der Feindpropaganda etwas entgegen zu setzen.

 

Wie kann der Krieg überhaupt enden?

Andreas Zumach: Es kann sein, dass er bis Oktober zu Ende ist, wenn Russland es schafft, den Donbass und den südliche Landgürtel am Asowschen Meer bis Odessa einzunehmen. Der Krieg kann auch länger bis Anfang nächsten Jahres wie es Macron und Scholz sagen oder sogar über Jahre hinaus, wie es Nato-Generalsekretär Stoltenberg für möglich hält.

 

Bringt es etwas, auf Wirtschaftssanktionen zu setzen? Spürbare Erfolge sind ja nicht zu verzeichnen.

Andreas Zumach: Sie sind immer noch ein besseres Mittel als Krieg. Die Sanktionen der Uno gegen das Apartheidregime in Südafrika haben Wirkung gezeigt, gegen den Irak nicht. Die Sanktionen nach dem russischen Einmarsch in die Krim 2014 waren sehr halbherzig und haben Putin nicht zu einer Korrektur seiner Ukraine-Politik bewegt. Jetzt haben wir offensichtliche dasselbe Problem. Wenn der Westen wirklich überhaupt kein Gas und Erdöl von Russland kaufen und auch Atomunternehmen die Zusammenarbeit mit Rosneft stoppen  und diese Sanktionen vier, fünf Monate durchgehalten würden, hätte das Wirkung. Aber ich fürchte, dazu ist die politische Klasse in Deutschland nicht bereit, die Zivilbevölkerung wäre es möglicherweise sogar eher.

 

Müssten Nato und EU eventuell stärker auf die Ukraine einwirken, den Krieg zu beenden?

Andreas Zumach: Wenn die USA und die EU-Staaten eine gemeinsame Position hätten, könnten sie Selenskyj sagen, was alle Militärexperten ohne politische Agenda sagen: Es bringt nichts, den Krieg aufrecht zu erhalten, weil die hohe militärische Überlegenheit Russlands auch mit noch so vielen Waffenlieferungen an die Ukraine nicht ausgeglichen werden kann. Dann könnte der Krieg aufhören. Vielleicht gibt es auch eine Art militärisches Ermüdungspatt. Selbst wenn Russland militärisch gewinnt und sogar die gesamte Ukraine besetzen sollte, wird es nie das Land unter Kontrolle bekommen. Und wenn Selenskyj etwa den Donbass abtreten würde und den südlichen Küstenstreifen bis Odessa, gäbe es vielleicht ein Kriegsende. Aber es bliebe die Gefahr, dass die Bevölkerung es nicht akzeptiert. Und es bleibt der fade Beigeschmack, dass einer solchen Vereinbarung ein Überfall vorausgegangen war.

 

Wer kann jetzt noch eine Verhandlungslösung herbeiführen?

Andreas Zumach: Die EU scheidet als Vermittler aus. Sie hat sich richtigerweise gegen den Aggressor positioniert. Es kommen vielmehr Staaten aus dem globalen Süden in Frage wie Indien, Mexiko oder Südkorea.

 

Und wie könnte es nach dem Krieg mit der Ukraine weitergehen?

Andreas Zumach: Der EU-Beitritt wäre für die Ukraine sicher positiv, nur würde die EU ein Land aufnehmen, dessen Grenzen dann vermutlich nicht geklärt sind. Auch sind dort innenpolitische Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Korruption noch nicht geklärt, vergleichbar mit den Westbalkanstaaten. Vor der Aufnahme in die EU gibt es ja noch viele Zwischenschritte, so wird die EU eine erhebliche Rolle beim wirtschaftlichen Wiederaufbau spielen, für den geschätzt mindestens 760 Milliarden Euro benötigt werden. Dann wird es in den Verhandlungen zunächst um Assoziierungsabkommen und Zollunion gehen. Da hat die EU in den Jahren 2010 bis 2013 schon einmal den Fehler gemacht der Ukraine zu sagen ,Du kannst nur bei uns mitmachen’. Aber über 50 Prozent des Handels der Ukraine war mit Russland. Bei künftigen Verhandlungen zwischen Ukraine und EU müssen auch legitime Wirtschaftsinteressen der Russen berücksichtigt werden.

 

Welchen Anteil hat der Westen an der aktuellen Situation?

Andreas Zumach: Der Bruch der Versprechen, die Nato nicht nach Osten zu erweitern und andere Fehler des Westens haben zur steigen Verschlechterung der Beziehungen zu Russland in den letzten 20 Jahren beigetragen. Das alles ist aber keinerlei Rechtfertigung für den völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Angriffskrieg Russlands.

 

Wie bewerten Sie die Appelle zu einem sofortigen Waffenstillstand?

Andreas Zumach: Die russische Seite ist so überlegen, egal ob bei der Luftwaffe oder der Artillerie mit einem Verhältnis von 40 zu 1, dass es eine Alternative wäre zu sagen: Wir müssen den Krieg möglichst bald zu beenden um weitere tote Soldaten zu vermeiden. Wenn man weiter Waffen liefert, hat man eine Mitverantwortung, denn es wird eine Illusion aufrecht erhalten, dass die Ukraine gewinnen könnte. Nur was heißt das: Ein Zurückdrängen hinter die Grenzen vor dem 24. Februar oder ein Niederringen? Präsident Selenskyj ist in letzter Zeit immer mehr in Siegerrhetorik verfallen. Aber das halte ich für ausgeschlossen, selbst wenn die Ukraine massiv weitere Waffen geliefert bekäme. Die Nato wird ihre Politik beibehalten: Keine Nato-Eingreiftruppe auf dem Boden, keine Luftwaffe, keine Flugverbotszone. Das ist die rote Linie, die auch US-Präsident Biden gezogen hat.

 

Die Friedensbewegung proklamiert eine soziale Verteidigung statt weiterem Aufrüsten?

Andreas Zumach: Ich kenne die Väter dieser Grundsätze persönlich und befürworte diese Konzepte. Aber ich habe auch ein Problem, den Ukrainerinnen und Ukrainern Ratschläge zu geben aus einem sicheren Umfeld in Berlin oder Kirchheim. Deshalb beteilige ich mich nicht an solchen Appellen. Ich wünsche mir natürlich den Waffenstillstand, sehe aber keinen Plan dafür.