Kirchheim
Der Meilenstein auf halber Strecke

Großbaustelle Sibylle und Wanda haben ordentlich was geschafft. Die beiden Tunnelbohrmaschinen können bei rund vier Kilometer das Bergfest feiern und befinden sich zwischen dem Gebiet Rabailen und Lindorf. Von Iris Häfner

Jetzt ist nur noch die Hälfte des Werks zu tun“, sagt Dr. Andreas Groten, Chef der Kirchheimer Implenia-Baustelle, und freut sich über diese Gegebenheit. „Wir arbeiten auf ein Ziel zu, und dem kommen wir immer näher. Das ist eine rein psychologische Geschichte“, so Andreas Groten. Ab jetzt geht‘s für die Tunnelbauer auch gefühlt bergab. Tatsächlich ist das seit Beginn der Arbeiten für die ICE-Schnellbahntrasse der Fall, denn bekanntlich liegt Wendlingen topografisch tiefer als Kirchheim, von wo aus das Bauwerk in Richtung Neckar gegraben wird.

Der Weg zum Ort des Geschehens - dem vorderen Ende der großen Bohrmaschine - dauert. Schließlich müssen knapp vier Kilometer unter Tage bewältigt werden. Fußgänger sind dort unerwünscht, weshalb das „Papamobil“ genannte Spezialfahrzeug gechartert wird. Das lässt sich nur vorwärts fahren, das heißt mangels Wendemöglichkeit hat es auf beiden Seiten eine Fahrerkabine. Auf beiden Seiten des langen Mittelstücks sind Sitzschalen für die Passagiere angebracht, sodass man sich bei der Seitwärtsfahrt gegenübersitzt.

Der Mann der Stunde ist Andreas Bellin aus Berlin. Er ist der Herr der Fernbedienung und kann damit den besonderen Tübbing- stein an Ort und Stelle hieven. Die tonnenschwere Betonschale wird mithilfe von Unterdruck angesaugt und per Kran punktgenau an die installierten Vordersteine angedockt. Maßarbeit ist hier gefragt, weshalb auch der gute, alte Meterstab auf der Hightech-Maschine zum Einsatz kommt. Sitzt das Betonteil auf der richtigen Position, werden mithilfe eines Druckluftschraubers die großen Schrauben von Tübbing zu Tübbing reingedreht. Der Spalt zwischen den Ringen, die aus jeweils sieben Einzelstücken bestehen, wird mit Mörtel gefüllt und das Ganze zusammengepresst. Hält alles fest, kommen die Schrauben wieder raus.

Den „Halbzeit-Stein“ in der Südröhre, die Wanda bohrt, zieren zahlreiche Unterschriften. Beim Bergfest im Kirchheimer Tübbingwerk vor wenigen Wochen (wir berichteten), als dort die Halbzeitfeier stattfand, haben sich darauf sämtliche Beteiligte verewigt. „Das ist ein Dokument ähnlich einer Grundsteinlegung“, sagt Andreas Groten über die Bedeutung. Auf „Befehl“ der Deutschen Bahn liegt dieser besondere Meilenstein am Boden der Tunnelröhre, weshalb die Namen in nicht allzu ferner Zukunft unter einer Betonschicht verschwinden und erst wieder bei Sanierungsarbeiten irgendwann zutage kommen. Die Röhren haben unter Tage die Firma Feeß in den Rabailen passiert und sind nun auf halber Strecke zur Reuderner Straße, grob in Richtung Firma Waggershauser - rund vier Kilometer vom Tunneleingang entfernt. Wanda ist dabei ihrer Schwester Sibylle einen Ticken voraus, schließlich hat sie einen Vorsprung von mehreren Tagen von Anfang an.

Im Durchschnitt schaffen die Tunnelvortriebsmaschinen 20 Meter pro Tag. „Ich freue mich jeden Morgen, wenn ich auf meinem Handy die Zahl 25 oder mehr lese“, so Andreas Groten. Der Rekord liegt bei 34 Meter, den Sibylle aufgestellt hat. „Eigentlich können wir zufrieden sein. Zur Zeit läuft es super“, freut sich der Baustellenchef.

Das war nicht immer so. Solange die Röhren direkt unter der Autobahn gebohrt wurden, mischten die Maschinen viel Wasser dem zermahlenen Schwarzjura aus Sicherheitsgründen unter, was so nicht eingeplant war. „Das ist ein Riesenprozess, der zum Anlaufen gebracht werden muss. Den können wir im Labor nur erfühlen, aber nicht endgültig klären“, erklärt Andreas Groten. Mit Branntkalk wurde der Gesteinsbrei wieder verdickt - sehr zum Ärger zahlreicher Anwohner. Der ätzende Kalkstaub setzte sich auf allem ab, was sich ihm in den Weg stellte und griff beispielsweise Autolack an. Außerdem sorgte er für Atemwegsbeschwerden. „Woran wir nicht gedacht haben, war die Tatsache, dass der Lagerplatz auf dem höchsten Punkt der Baustelle liegt und von jeder Ecke der Wind durchfegt“, sagt Andreas Groten, der ungern an diese mehrmonatige Zeit erinnert werden will. Stattdessen blickt er optimistisch in die Zukunft und wünscht sich nur eines: keine schweren Unfälle auf der Baustelle.