Kirchheim
Der Pieks macht den Unterschied

Debatte Auch wenn es derzeit noch an Impfdosen fehlt, beginnt die Diskussion darüber, wann die Einschränkungen für Geimpfte enden sollen. Von Andreas Volz

Während die einen sich die Finger wund wählen, um einen Impf­termin zu ergattern, machen sich andere schon Sorgen um die Zeit, in der die gegenteilige Situation eintritt: wenn massenhaft Impfstoff zur Verfügung steht, aber alle Freiwilligen bereits die zweite Dosis intus haben. Was bleibt, sind die Impfgegner, die sich partout keinen Termin holen. Wen es dann noch zu überzeugen gilt? Die Skeptiker, die erst einmal abwarten, was die Impfung den anderen gebracht hat.

Wenn schlechte Folgen der Impfung ausbleiben, könnte das die Skeptiker ebenso überzeugen, wie wenn es positive Folgen für die Geimpften gibt. Wenn jemand mit Impfbescheinigung eines Tages wieder in die Gaststätte, ins Kino oder in die Ferienunterkunft darf, jemand ohne Impfbescheinigung dagegen abgewiesen wird, könnte das ein Argument fürs Impfen sein. Genau mit einem solchen Vorschlag hat Außenminister Heiko Maas jetzt für Schlagzeilen gesorgt - „ohne mich zu fragen“, wie sein Parteikollege, der Kirchheimer SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Kenner, leicht ironisch anmerkt. Dass es so kommen kann, wie von Maas beschrieben, hält Kenner nicht für abwegig: „Ich kann mir vorstellen, dass im Sommer, wenn viele schon geimpft sind, ein Wirt sagt, er geht auf Nummer sicher und lässt nur Leute mit Impfung rein.“

Allerdings hält Andreas Kenner den Zeitpunkt für eine solche Debatte für verfrüht: „Das ist nicht das Thema. Ich habe gerade selbst großen Frust, weil ich versuche, meine Mutter zur Impfung anzumelden. Da kommt man ja gar nicht aus der Warteschleife raus.“ Und solange nur Menschen über 80 geimpft werden, sei die „Party-Lizenz“ für Geimpfte ohnehin nichts, worüber man sich zeitnah Gedanken machen müsste.

Als Oppositionspolitiker nimmt Andreas Kenner die Landesregierung ausdrücklich in Schutz: „Wir haben in Baden-Württemberg schon viel öfter die Zweit­impfung gegeben als in anderen Ländern. Man hat bei uns den vorhandenen Impfstoff für die Zweit­impfungen zurückgehalten, und das war richtig so.“ So sind bislang rein prozentual weniger Baden-Württemberger beim Impfen an der Reihe gewesen als anderswo. Dafür aber haben im Südwesten vergleichsweise viele Menschen schon das „Komplettpaket“ erhalten.

Über die Impfpflicht macht sich Andreas Kenner durchaus Gedanken. Er hält davon aber nichts, wie er in einem Positionspapier seiner Landtagsfraktion kommentiert: „Die Diskussion über eine Impfpflicht ist nicht hilfreich. Es gibt sehr gute Argumente für die Impfung, die durch eine klare Kommunikation seitens der Verantwortlichen der Bevölkerung vermittelt werden müssen.“ Er erinnert an die Pocken oder an Polio - Krankheiten, die durchs Impfen weltweit ausgerottet wurden oder kurz vor der Ausrottung stehen.

Angst vor Nebenwirkungen könne man durchaus haben, meint Andreas Kenner - und fügt hinzu: „Wenn ich an der Reihe bin, lasse ich mich natürlich impfen. Das halte ich für meine staatsbürgerliche Verantwortung. Außerdem will ich mal wieder in ein Café gehen, ein VfB-Spiel in der Kneipe anschauen oder ein Fest mit Nachbarn auf der Klos­terwiese feiern.“

Bleibt die Frage, ob solche Freuden eines Tages ausschließlich Geimpften vorbehalten bleiben sollen oder nicht. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitiker Michael Hennrich sieht in diesem Fall noch zu große Unsicherheiten: „Wir wissen bis heute nicht, ob eine Impfung nur den Einzelnen vor der Krankheit schützt oder ob sie auch dazu beiträgt, andere vor einer Infektion zu schützen.“ Solange das nicht geklärt ist, müsse man nicht über Lockerungen für Geimpfte reden.

„Freiheitsrechte von Grund auf“

Selbst wenn es da Klarheit gäbe, sieht Hennrich immer noch eine juristische und eine politische Dimension: „Juristisch ist es so, dass Freiheitsrechte nicht vom Staat verliehen werden. Die hat man von Grund auf. Wenn jemand also geimpft ist und wir wüssten, dass er niemanden mehr anstecken kann, gäbe es bei ihm keinen Grund mehr für Einschränkungen.“ Die politische Dimension sieht ganz anders aus: „Wir fordern von jungen Menschen ein hohes Maß an Solidarität. Da wäre es politisch nur schwer zu vermitteln, wenn ältere Geimpfte wieder alle Freiheitsrechte in Anspruch nehmen, während die Jüngeren noch auf ihre Impfung warten.“

Hennrich hofft allerdings, dass die Impfungen und wärmere Temperaturen im Frühjahr und Sommer dafür sorgen, dass sich das Thema von selbst erledigt - gäbe es da nicht noch eine große Unbekannte: das mutierte Virus. „Über dessen Auswirkungen wissen wir leider noch gar nichts.“