Kirchheim
Der Umgang verroht

Gesellschaftsphänomen Polizeibeamte und Einsatzkräfte klagen immer häufiger und intensiver über Gewalt bei ihren Einsätzen. Beleidigungen gehören langsam zur Tagesordnung. Von Iris Häfner

Seit Jahren steigen die Fallzahlen bei der Gewalt gegen Polizeibeamte. Körperverletzungen, Beleidigungen und übelste Beschimpfungen beschränken sich nicht auf Einzelfälle. Immer öfter schlägt den Beamten auch in scheinbar harmlosen Situationen Respektlosigkeit, Widerstand oder gar offene Gewalt entgegen. Auch in Kirchheim hat sich die Situation weiter verschärft. Waren es 21 Fälle 2015, so stiegen sie im Jahr darauf schon auf 28 an, und 2017 ging es hoch auf 38. „Wir sind dennoch nicht in der Opferrolle“, stellt Fabian Mayer, Leiter des Kirchheimer Polizeireviers, unmissverständlich klar. Mit dem Umstand der gesellschaftlichen Verrohung wisse die Polizei umzugehen. „Das trifft uns nicht so unvorbereitet, wie etwa Feuerwehrleute oder sonstige Rettungskräfte, die meist ehrenamtlich Menschen helfen wollen und dann auch noch beschimpft und angepöbelt werden“, sagt Fabian Mayer.

Die Polizei hat sich bereits vor Jahren auf die zunehmende Gewalt eingestellt. Es gab Forschungsprojekte, und es wurden landesweite Konzepte erstellt. So wurde etwa die Ausrüstung auf den Prüfstand gestellt und optimiert, Body-Cams sind im Gespräch. Die Aus- und Fortbildung wurde optimiert. Mental werden die Beamten beim Training auf kritische Situationen vorbereitet, und durch regelmäßige Übung wächst die Handlungssicherheit. „Klar ist auch, dass wir Gewalt nicht hinnehmen. Entsprechendes Verhalten wird daher konsequent von uns verfolgt“, so der Revierleiter. Ein dickes Fell braucht jedoch mittlerweile jeder.

Der typische Randalierer ist männlich und zwischen 20 und 30 Jahre alt. Über zwei Drittel ist alkoholisiert oder steht unter Drogeneinfluss. Vermehrt wird aus der Gruppe heraus agiert. „Zwei bekommen wegen eines Mädchens Streit. Die Security wirft sie raus, und draußen vor der Tür hat jeder fünf Kumpels um sich. Die Situation droht zu eskalieren. Die Polizei wird gerufen. Doch kaum ist die Polizei da, verbünden sich alle gegen die Beamten. Gruppendynamik und Solidarisierungseffekte spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle“, nennt Fabian Mayer eine beispielhafte Situation. „Klar ist auch, dass die Gruppendynamik Kräfte bindet. Während wir früher mit zwei Beamten die Situation entschärfen konnten, benötigen wir heute teilweise mehrere Streifen“, sagt Fabian Mayer. Kirchheim mit seiner hohen Kneipendichte hält die Beamten dabei regelmäßig auf Trab.

Derartige Situationen erlebt Polizeiobermeister Timo Haller regelmäßig: „Im Streifendienst wird man von der Bevölkerung unmittelbar als ,die Polizei‘ wahrgenommen. Dieser Wirkung muss sich jeder Beamte immer bewusst sein.“ Vor allem im digitalen Zeitalter, in dem Handy-Aufnahmen durch Beteiligte, manchmal aber auch durch unbeteiligte Dritte, an der Tagesordnung sind. Er stellt unmissverständlich klar: „Die Entscheidungen und Maßnahmen, die wir treffen, ziehen wir durch. Wir sind immer handlungsfähig.“ Timo Haller liebt seinen Beruf trotz der zunehmenden Gewalt. „Die Streife ist kurzweilig.

Neben der Aufnahme von Straftaten und Verkehrsunfällen sowie der Beseitigung von Ordnungsstörungen, helfen wir auch mal einer älteren Dame über die Straße“, sagt er. Umso mehr trifft ihn - und seinen Kollegen - das Phänomen der erhöhten Gewaltbereitschaft, die sich oftmals aus ganz alltäglichen Situationen heraus ergibt. Vergangenes Jahr mussten im Kirchheimer Revier mehrere Verletzungen verzeichnet werden, glücklicherweise nicht mit schwereren Folgen. Es gab unter anderem ein verdrehtes Knie, Schürfwunden sowie Bissspuren trotz Handschuhe. „Die Anzahl der Krankheitstage steigt stetig an“, muss Fabian Mayer allerdings registrieren. „Das Gewalt-Phänomen ist auch in Kirchheim spürbar - es ist aber nicht mit Großstädten vergleichbar.“ Die Beamten des Streifendienstes müssen eine hohe Einschreitkompetenz haben, beschreibt Fabian Mayer die Herausforderungen im polizeilichen Alltag. „Konkret ist damit gemeint, in konfliktträchtigen Situationen die Ruhe zu bewahren sowie unmittelbar die rechtlich richtigen und angemessenen Entscheidungen zu treffen.“

In Anbetracht dieser Herausforderung stellt sich die Frage: „Warum geht jemand zur Polizei?“ Die Beamten sind sich einig: Die Kollegen haben eine hochsoziale Einstellung. Dabei steht die Arbeit mit Menschen und der Wunsch, anderen zu helfen, im Mittelpunkt. Wie Timo Haller sind deshalb viele Polizisten auch in anderen Vereinen oder Hilfsorganisationen, wie zum Beispiel der Feuerwehr, ehrenamtlich aktiv.