Kirchheim
Die üblichen Verdächtigen

Film Auch an diesem Weihnachtsfest gibt es in der Kirchheimer Bastion den Kultfilm „Casablanca“ zu sehen. Hinter der Aufführung und der Entstehung des Films verbergen sich sehr spannende Geschichten. Von Peter Dietrich

Die erste Aufführung von „Casablanca“ in der Bas­tion, sagt Andreas Kenner, müsse 1976 gewesen sein. Die Idee sei von Gundhard Racki gekommen. „Er war ein großer Fan von Casablanca und von Humphrey Bogart.“ Er selbst habe seither nur bei einer einzigen Aufführung gefehlt, nur eine einzige Weihnachtsaufführung sei seither ausgefallen, wegen Corona. „Am Zweiten Weihnachtsfeiertag wurde immer der Film ‚Kinder des Olymp‘ gezeigt.“ Diese Tradition ging zu Ende, aber Casablanca blieb den Kirchheimern wie Paris den beiden Liebenden im Film. „Zwei Tage vor seinem Tod habe ich Gundhard Racki versprochen, das weiterzuführen“, sagt Andreas Kenner. Das war 2015, er hielt Wort. „Am 25. Dezember um 21.15 Uhr öffnet die Kasse“, verspricht er. Dann sehe er viele Bekannte wieder: „Manche sind seit 40 Jahren dabei. Doch es kommen auch Gäste, die haben diesen Film noch nie gesehen.“

Früher wurde der Film natürlich noch als Film projiziert, nicht digital. Dann gab es immer eine Pause, aus zwei Gründen: Zum einen musste die Filmrolle gewechselt werden, zum anderen wollten einige Raucher zwischendurch mal raus – wo ihnen im Film doch so viel vorgeraucht wurde. Diese Pause gibt es auch heute noch, exakt an derselben Stelle, auch wenn sie technisch längst nicht mehr nötig wäre: So viel Tradition muss sein.

Völlig verstümmelt

Wie kam Casablanca nach Deutschland? Entsetzlich verstümmelt und verfälscht, denn der ersten Synchronfassung von 1952 fehlten satte 20 Minuten. Alle Hinweise auf den Nationalsozialismus und das kollaborierende Vichy-Regime waren entfernt. Der tschechoslowakische Widerstandskämpfer Victor Laszlo war zu einem norwegischen Physiker geworden. Erst in den 1970er-Jahren, so das „Lexikon des internationalen Films“, ermöglichte eine Neusynchronisation den Zugang zur authentischen Fassung.

Die Kürzungen hatten ihre Tücken. Major Strasser war in der verfälschten Version nie in Casa­blanca gelandet. Conrad Veidt steht als sein Darsteller noch im Vorspann, taucht aber fast nie auf. Einmal sitzt er in Rick’s Café am Tisch des Polizeipräfekten: Weil unter der Einstellung ein Musikstück liegt, ließ sie sich nicht herausschneiden. Weil er sonst nie da ist, muss und kann ihn Bogart auch nicht kurz vor Filmende erschießen.

Im Jahr 2001 veröffentlichte der Berlin Verlag in deutscher Übersetzung das Buch „Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen – Wie Casablanca gemacht wurde“ von Aljean Harmetz. Das hochspannende Werk mit 480 Seiten ist längst vergriffen, aber noch antiquarisch zu bekommen. Geschildert werden dort unter anderem die Probleme mit der „Production Code Administration“, dem damaligen Sittenwächter. Die Andeutung im Skript, dass Captain Renault gewohnheitsmäßig Frauen verführt, denen er Ausreisevisa gewährt, war ebenso unakzeptabel wie die Tatsache, dass Ilsa verheiratet war, während sie sich in Paris in Rick verliebte. Der Code bestand darauf, dass „die Heiligkeit der Institution von Ehe und Familie aufrechterhalten“ wurde. Lustvolles Küssen durfte nicht gezeigt werden. Die Produktionsstudios manövrierten entsprechend. Renaults Verhalten wurde trotz der Dialogzensuren klar vermittelt.

Das Ende war lange offen

An den Dialogen und dem Filmende wurde bis zuletzt gefeilt – bis Mitte Juli 1942, nachdem seit Mai bereits gedreht wurde. Immer wieder fragte Ingrid Bergman (Ilsa) den Regisseur Michael Curtiz und die Autoren, mit welchem der beiden Männer – Rick oder Victor – sie fortgehen solle. Die Antwort der Befragten: Sie würden ihr Bescheid geben, sobald sie es selbst wüssten. Wie sollte sie spielen, welchen der beiden Männer lieben? Man sagte ihr, sie solle „irgendwas dazwischen“ spielen. Die Seiten des Skripts waren am Ende blau, rosa, lachsrot und grün – das half, den Überblick über die vielen Änderungen zu behalten. Teils bekamen die Schauspieler täglich neuen Text.

Erst in der „überarbeiteten Endfassung“ vom 1. Juni 1942 wurden die letzten Szenen an den Flughafen verlegt. Er wurde in einem Tonatelier nachgebaut. Das Set wurde eingenebelt, „um die Tatsache zu verschleiern, dass alles so künstlich war“, sagte der Regieassistent Lee Katz. Damit die Proportionen der Flugzeugattrappe aus Sperrholz stimmten, bestanden alle Mechaniker darunter aus Kleinwüchsigen. Conrad Veidt hatte seine Rolle als Major Strasser bereits zwei Tage zuvor beendet, da kehrte er am 22. Juli 1942 noch einmal zurück, um erneut zu sterben: Diesmal zog der Nazi zuerst die Waffe.

Am 3. August 1942 waren die Dreharbeiten zu Ende. Niemand trauerte. Die meisten Schauspieler mochten sich nicht, der Regisseur hatte seine Leute wie üblich übel behandelt. Bogart äußerte offen seinen Unmut, Bergmann hatte die Rolle nur angenommen, weil sie die Rolle der Maria in „For Whom the Bell Tolls“ – noch – nicht bekommen hatte. So werden unsterbliche Klassiker geboren. Nur ahnte das damals noch keiner.

Info Die Vorführung am 25. Dezember in der Bastion beginnt um 22 Uhr.