Dass Stromkonzernen durch die Energiewende ein rauer Wind entgegenbläst, ist nicht nur eine nette Metapher. Es kann umgekehrt auch zeigen, was passiert, wenn es einmal nicht so ist. Die um zehn Prozent geringeren Erlöse im Bereich erneuerbare Energien, die EnBW-Vorstandschef Frank Mastiaux am Donnerstag verkünden musste, sind dem zurückliegenden Jahrhundertsommer geschuldet. Weniger Wind, weniger Wasser, weniger in der Kasse. Trotzdem gibt es für den Versorgungsriesen kein Zurück. Der Atomausstieg bis 2022 ist längst beschlossen, Kohle soll bis spätestens 2038 folgen.
Grund für diejenigen, die den Wandel am hartnäckigsten vorantreiben, nachzufragen, was danach kommt. Grünen-Politikern wie Andrea Lindlohr, Matthias Gastel und Andreas Schwarz kann es mit dem Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleverbrennung nicht schnell genug gehen. Gastel macht keinen Hehl daraus, dass man mit der Empfehlung der Kohlekommission wenig glücklich ist. „Wir hätten uns einen früheren Ausstieg gewünscht“, betonte der Bundespolitiker bei der gestrigen Visite im Kraftwerk Altbach. Sein Kirchheimer Parteikollege Andreas Schwarz, Fraktionschef im Landtag, beschwört das Dreigestirn aus Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Bezahlbarkeit als grüne Maxime und findet Lob für ein Unternehmen, das im Atomstreit vor Jahren noch als ideologischer Erzfeind galt. „Wir sehen die EnBW auf die Zukunft gut vorbereitet“, sagt Schwarz.
Beim Thema Versorgungssicherheit spielt das Kraftwerk am Neckar eine wichtige Rolle. So wichtig wie es seine 250 Meter hohen Schornsteine - die höchsten Bauwerke im ganzen Land - weithin sichtbar symbolisieren. Hier regiert die Steinkohle als Energieträger. 180 000 Tonnen davon können zwischen den Kraftwerksblöcken lagern. Das meiste kommt mit der Bahn aus Abbaugebieten in Osteuropa oder Nordamerika. Nur zehn Prozent werden mit dem Schiff angeliefert, weil 27 Neckarschleusen den Weg übers Wasser erschweren.
Auf der 80 Meter hohen Aussichtsplattform von Block 2 reicht der Blick nicht nur weit ins Land. Ein Richtungspfeil weist dort symbolisch den Weg in die Zukunft: 700 Kilometer Luftlinie sind es von hier bis zu „Baltic II“, dem größten von zwei Offshorewindparks, den die EnBW in der Ostsee betreibt. Der Wandel schreitet voran. In Brandenburg plant das Unternehmen zurzeit den mächtigsten deutschen Solarpark - erstmals ohne staatliche Fördergelder. Neun Kohlekraftwerke hat der Energieversorger inzwischen stillgelegt. Wann es in Altbach mit der Verbrennung vorbei sein wird, weiß zur Stunde niemand. Die Anlage ist nach dem Meiler in Karlsruhe die zweitmodernste im Land. Beide Standorte werden sich daher vermutlich als Letzte aus dem Kohlezeitalter verabschieden. Dennoch ist auch am Neckar der Strukturwandel seit knapp einem Jahrzehnt im Gang. Dr. Georg-Nikolaus Stamatelopoulos, Betriebsleiter im Kraftwerk in Altbach, rechnet in den kommenden sieben Jahren mit einem massiven Ausbau der Gasversorgung. „Wir haben im Moment nicht die Infrastruktur, die wir bräuchten, um Kohle vollständig zu ersetzen“, sagt er. In Altbach werden im neuen Block 2, der 1995 in Betrieb ging, schon jetzt zwei Gasturbinen betrieben.
Gasbetrieb wird teurer
Die Umstellung auf Gas oder Biomasse ist für das Kraftwerk am Neckar die Option für die Zukunft. Eine Zukunft, in der Altbach seine Rolle als „Netzreserve“ wohl noch länger spielen wird, auch wenn der aktuelle Fahrplan nur bis Mitte 2021 reicht. Um nachwachsende Rohstoffe als Pellets verbrennen zu können, wären Investitionskosten im „niedrigen dreistelligen Millionenbereich“ nötig, rechnet Stamatelopoulos vor. 800 000 Tonnen davon pro Jahr wären nötig. Ein Drittel müsste aus zertifiziertem Bestand - in der Regel aus Nordamerika - importiert werden. Eine Umrüstung auf Gasbetrieb käme den Konzern deutlich teurer, wäre aufgrund der Infrastruktur für den Standort aber ideal, wie der Werkschef betont. Dass es in Altbach auch nach dem Kohleausstieg weitergehen wird, davon ist er jedenfalls überzeugt: „Würden wir den Standort nicht beibehalten und energietechnisch ersetzen, wäre das ein Fehler.“
Der gewaltige Kohlemeiler, der das Bild im Neckartal seit Jahrzehnten prägt, liegt genau an der Markungsgrenze der Gemeinden Altbach und Deizisau. Für die Verwaltungschefs beider Kommunen ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Er vertraue auf partnerschaftliche Kommunikation, betonte Deizisaus Bürgermeister Thomas Matrohs, der mit seinem Altbacher Kollegen Martin Funk gestern beim Vorort-Termin dabei war. „Für uns Kommunen ist es wichtig, zu wissen, wie es mit dem Standort weitergeht.“