„Kaum Führungsstärke gezeigt“
Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Matthias Gastel, findet die Entscheidung richtig: „Diese Koalition war von Anfang an nicht einfach. Doch sie bot eine Chance, unterschiedliche Vorstellungen zusammenzuführen. Mit dem Koalitionsvertrag wurden mehr als ausreichend Gemeinsamkeiten formuliert, um eine Legislaturperiode zur Modernisierung unseres Landes beitragen zu können. Dies hätte aber eine konstruktive Grundhaltung aller Koalitionspartner vorausgesetzt. Leider mussten wir jedoch eine FDP erleben, die sich mit Kompromissen äußerst schwertat und ihren Arbeitsschwerpunkt mehr und mehr auf das Blockieren gemeinsamer Vorhaben verlegte. Eine konstruktive Zusammenarbeit wurde dadurch immer schwerer.“
Gastel weiter: „Der Bundeskanzler, der kaum Führungsstärke zeigte, traf schließlich eine schwierige, aber folgerichtige Entscheidung, indem er die Entlassung des Finanzministers veranlasste. Nun stehen die demokratischen Parteien in der Verantwortung, bis zur voraussichtlichen Neuwahl zumindest die wichtigsten Entscheidungen gemeinsam zu ermöglichen. So sollte der Bundeshaushalt für 2025 unbedingt noch in diesem Jahr beschlossen werden, um Investitionssicherheiten bieten zu können. Ohne diese Verlässlichkeit würde beispielsweise die Bauwirtschaft einen massiven Schaden erleiden. Zudem braucht die Ukraine unsere weitere Unterstützung und aufgrund der Unwägbarkeiten aus den USA eine umso größere Entschlossenheit seitens Europa, um dem aggressiven, imperialistischen Kriegskurs Russlands Einhalt zu gebieten“, meint er.
„Lindner wollte den Bruch“
„Der Kanzler ist der FDP weit entgegengekommen und hat auch Vorschläge des Finanzministers aufgegriffen. Lindner hat trotzdem jeden Kompromiss blockiert. Er wollte offenbar den Bruch erzwingen. Auf dieser Basis war eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht weiter möglich. Ich finde es daher folgerichtig, dass der Bundeskanzler Christian Lindner entlassen hat“, meint der SPD-Bundestagsabgeordnete Nils Schmid. Sein Urteil über Christian Lindner fällt deutlich aus: „Christian Lindner hat einmal mehr gezeigt, dass sein Verhalten dem Ernst der Lage nicht angemessen ist. Er ist und bleibt ein verantwortungsloser Spieler.“
Der Zeitplan stehe fest: „Bis zur letzten Sitzungswoche im Dezember sollen noch drängende Vorhaben wie der Abbau der kalten Progression, die Stabilisierung der Rente und Sofortmaßnahmen zur Unterstützung der Industrie verabschiedet werden. Gleich in der ersten Sitzungswoche im Januar will er dann die Vertrauensfrage stellen, damit der Bundestag am 15. Januar darüber abstimmen kann. Damit haben wir einen geordneten Übergang zu Neuwahlen.“
Begrenzte Schuldenaufnahme hält Schmid für sinnvoll: „Wir werden das Land verantwortungsvoll weiterführen. Dazu gehört auch, dass wir die Ukraine weiter gegen den russischen Aggressor unterstützen. Klar ist aber: Das darf nicht zulasten der sozialen Sicherung in unserem Land gehen, wie es Christian Lindner gefordert hat. In Ausnahmezeiten wie diesen ist es daher richtig, begrenzt Schulden aufzunehmen.“
Im Bereich Migration haben wir bereits entschieden gehandelt und Maßnahmen hinsichtlich der Begrenzung der irregulären Migration getroffen. Im nächsten Schritt geht es um die Umsetzung der Regeln des neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Der entsprechende Gesetzesentwurf soll bis Dezember im Bundestag beschlossen werden. Dazu werden wir mit der Opposition Gespräche suchen. Dann wird ersichtlich werden, wer bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.
„Olaf Scholz wählt das Chaos“
Zu einer anderen Einschätzung kommt die FDP-AbgeordneteRenata Alt: „Die Entscheidung des Bundeskanzlers, den Finanzminister zu entlassen, halte ich für falsch. Es ist verantwortungslos und nimmt jegliche Option, Neuwahlen möglichst geordnet anzugehen. Dazu war die FDP bereit, um unserer Verantwortung nachzukommen. Stattdessen wählt Olaf Scholz Chaos und die persönliche Abrechnung. Beides ist destruktiv. Es wird der Eindruck erweckt, als hätte Olaf Scholz den Bruch seit Längerem geplant“, meint sie. Bundesfinanzminister Lindner habe sich seiner Verantwortung gestellt, als er dem Bundeskanzler anbot, gemeinsam Neuwahlen einzuleiten. „Es war klar, dass mit dieser Koalition, trotz der Bemühungen der FDP Lösungen zu finden, die dringend benötigte Wirtschaftswende nicht möglich sein wird“, sagt Alt.
Die Vertrauensfrage kommt für sie zu spät: „Wir leben wirtschaftlich und geopolitisch in schwierigen Zeiten. Der russische Angriffskrieg, die Migrationskrise, China und die angespannte Lage im Nahen Osten sind nur die Spitze des Eisbergs. Deutschland muss die Bündnisse mit den europäischen Partnern vertiefen, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Umso wichtiger ist es, zeitnah eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Dazu braucht es schnell Neuwahlen. Der Aufschub der Vertrauensfrage durch Olaf Scholz bis Januar ist daher fahrlässig.“
„Ampel hat Vertrauen verspielt“
Nicht unerwartet kommt Kritik auch von der CDU im Wahlkreis. „Die Ampelregierung hat nicht nur das Vertrauen der Menschen in unserem Land verspielt, sondern auch das Vertrauen der Koalitionäre untereinander“, sagt Matthias Hiller, CDU-Kandidat für die Bundestagswahl 2025. Angesichts dessen, was in Deutschland und der Welt los ist, brauche man zügig eine handlungsfähige Regierung. „Bis dahin wird sich in unserem Land nichts mehr bewegen. Die Vertrauensfrage erst in zwei Monaten stellen zu wollen, ist falsch. Mit dieser Entscheidung erzeugt Olaf Scholz nochmals Chaos im Chaos. Die Menschen erwarten jetzt Antworten auf die prekäre wirtschaftliche sowie außen- und sicherheitspolitische Lage. Die kann keine Regierung auf Abruf geben.“