Gut möglich, dass gestern Nachmittag speziell in Ötlingen und Lindorf bange Blicke gen Himmel gerichtet wurden: Es regnete teilweise recht stark, viele Donnerschläge waren zu hören und dem Wetterbericht zufolge konnten lokal 20 bis 30 Liter pro Stunde Regen aus den Wolken fallen. Tags zuvor ging es in der Ötlinger Eduard-Mörike-Mehrzweckhalle genau um solche Extremwetterlagen und die damit verbundenen Hochwasserrisiken.
Regelmäßig „säuft“ am Ötlinger Ortsausgang die Stuttgarter Straße ab, weil der Dupiggraben die großen Wassermassen nicht aufnehmen kann. Die Häuser gleich mehrerer Straßenzüge laufen deshalb immer wieder mit Wasser voll, die Bahnunterführung ist nicht mehr passierbar. Kein Wunder, dass die Nerven blank liegen und das Interesse an der Bürgerinformation „Hochwasser und Starkregen – was tun?“ groß war.
Oberbürgermeister Dr. Pascal Bader ging in seiner Begrüßung auf die beiden schlimmen Gewitter Ende Juni 2021 ein und gab einen Überblick über das bisher Geleistete. So wurden als Sofortmaßnahmen beispielsweise Gräben ausgeputzt und ausgehoben, außerdem wurden Starkregengefahrenkarten erstellt, die auf der Homepage der Stadt abrufbar sind.
Den Anwohnern geht das alles zu langsam. Um eben jene Karten erstellen zu können, muss viel Geld in die Hand genommen werden, weshalb zuerst ein Förderantrag gestellt wurde. Der ließ neun Monate auf sich warten. „Nach dem Hochwasser im Juni 2018 konnten wir 2019 dann mit den Karten loslegen, in den nächsten Wochen dann mit den konkreten Maßnahmen“, erläuterte Eberhard Müller vom Sachgebiet Grünfläche. Drei Teileinzugsgebiete wurden für das gesamte Stadtgebiet gebildet. Als Erstes sollen Lindorf und Ötlingen in Angriff genommen werden.
Anne Jakobs vom Büro Wald und Corbe stellte ihre Arbeit vor. So wird zwischen Fluss- und Starkregenhochwasser unterschieden. „In sehr kurzer Zeit fällt viel Regen, Sturzfluten können einen Hang herunterstürzen. Wir haben die Gefahrenkarten erstellt, dass Vorsorge getroffen werden kann“, sagte sie. Bei Starkregen würde es jedoch nur 15 bis 30 Minuten Vorlaufzeit geben. Damit jeder Häuslesbesitzer weiß, wo die Gefährdung am Gebäude liegt, wurde ein Leitfaden herausgegeben. Es wurden Karten erstellt, es folgte eine Analyse und dann das Handlungskonzept. Auf deren Grundlage fußen drei Szenarien: seltenes, außergewöhnliches und extremes Ereignis – letztes ist dann eine Naturkatastrophe und dementsprechend blau eingefärbt.
Sie stellte auch die verschiedenen Möglichkeiten der Eigenvorsorge vor. Um Kellerabgänge und Lichtschächte zu schützen, würden oft schon 10 bis 20 Zentimeter hohe Vorbauten reichen, durchaus auch Marke Eigenbau, ebenso Mauerschwellen. „Ein Kanal ist maximal für ein fünfjähriges Hochwasser ausgelegt, deshalb ist er schnell überlastet“, so Anne Jakobs. Regenwasser zurückhalten mit einem Gründach, die Kellertür und -fenster wasserdicht abdichten, rät sie. „Die Maßnahmen sollten aber nicht die Situation von Dritten verschlechtern, darum unbedingt mit den Nachbarn reden und gemeinsam etwas machen“, sagte sie. Bei Neubauten könnte auch eine Geländemodellierung helfen. Vor allem Tiefgaragen sollten geschützt werden. Klappschott-Systeme sind teuer, aber effektiv. Die Schutzwände fahren automatisch hoch, wenn ein „Schwimmer“ den Auslöser drückt. Eine wichtige Funktion hat die Rückstaukappe. Darauf ging Bianka Wötzel, Sachgebietsleiterin Tiefbau und Beiträge, ein und stellte die Systeme vor.
Der Dupiggraben hat es in Kirchheim zu trauriger Berühmtheit gebracht. Einige schon geleistete Eingriffe sollen das Risiko vermindern helfen. „In Lindorf fanden die Wassermassen im Bereich Krummgässleweg wegen der Überfahrten den Weg nicht in den Graben. Das wurde verändert. Oberhalb der Zähringer Straße wurde das Quergefälle geändert“, erklärte Eberhard Müller. In Ötlingen sollen unter anderem weitere Ableitungen in die Lauter geprüft werden, etwa eine Rohrentlastung zum Spielplatz hin.
Gefahrenkarte fürs eigene Haus
Nach der Diskussion konnten sich die Zuhörerinnen und Zuhörer speziell informieren. Die längste Schlange hat sich vor dem Bildschirm mit Drucker gebildet, wo jeder sein Haus samt direktem Umfeld aus Satellitensicht in den drei Kategorien seltenes, außergewöhnliches und extremes Ereignis ausgedruckt bekam. Aber auch um die Stellwände mit den einzelnen Kirchheimer Gebieten bildeten sich Grüppchen, um mit den Fachleuten direkt reden zu können. Und es haben sich auch Bürger in die Liste eingetragen, um eine individuelle Beratung in ihrem Objekt zu bekommen, ähnlich einer Energieberatung.
InfoUnter dem Link https://www.kirchheim-teck.de/de/Wirtschaft-Bauen/Planen-Bauen/Hochwasserschutz finden Interessierte nicht nur die Starkregengefahrenkarten für Kirchheim, sondern auch viele weitere Informationen wie Checklisten und Tipps zur Vorsorge.