Kirchheim. Renata Alt ist auf dem Sprung: Die FDP-Bundestagsabgeordnete aus Kirchheim muss dringend nach Berlin. Fernsehanstalten, Presseagenturen und Zeitungen verlangen nach ihren Aussagen zu Taiwan. Die Geschichte hinter dem medialen Interesse an Taiwan ist eine lange – und eigentlich eine harmlose. Renata Alt ist die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Bereits in der zurückliegenden Legislaturperiode hatte der Ausschuss eine Reise nach Taiwan geplant. „Wir pflegen sehr enge Wirtschaftsbeziehungen zu Taiwan“, erklärt sie. Die damalige Reise fiel allerdings der Pandemie zum Opfer. Jetzt sollte sie im Oktober nachgeholt werden. Und urplötzlich ist die Abgeordnete aus Kirchheim mitten in der Weltpolitik gelandet.
Der Besuch von Nancy Pelosi gab der Volksrepublik China einen Anlass zu Militärmanövern vor Taiwan, wie auch der Besuch einer Delegation des US-Kongresses. Wie wird China also auf den Besuch einer Delegation aus dem Bundestag reagieren? Das ist es, was die Medien interessiert.
„China darf das nicht diktieren“
Renata Alt weiß noch nicht, ob die Reise überhaupt stattfindet. Sie weiß nur, dass sie selbst ohnehin nicht dabei sein wird. Sie verweist darauf, dass die Reise des Ausschusses noch gar nicht genehmigt ist. Andererseits aber betont sie: „Wir sind unabhängige Abgeordnete eines unabhängigen Landes. Eine solche Reise wegen Angst vor der chinesischen Reaktion abzublasen, wäre ein fatales Signal an Taiwan. Reisen sind wichtig in der Außenpolitik, um sich die Lage vor Ort selbst anschauen zu können. Wir können uns das nicht von China diktieren lassen.“
Ihre erste Auslandsreise als Ausschussvorsitzende hat sie in die Türkei geführt: „Im Ukraine-Konflikt spielt die Türkei eine wichtige Rolle – ob es um die NATO-Erweiterung geht oder um die Ausfuhr von Getreide.“ Im ersten Fall hat die Türkei ein Mitspracherecht, und im zweiten Fall lässt sich das Getreide nur dann wirklich exportieren, wenn die Schiffe den Bosporus und die Dardanellen durchqueren können.
Menschenrechtsfragen hat Renata Alt in der Türkei ebenso angesprochen wie sie es auch Vertretern des Iran gegenüber tut: „Egal, wie man die Systeme einschätzt, wenn man irgendetwas erreichen will, muss man das Gespräch suchen und Kontakte pflegen.“ Dabei gelte es, einerseits behutsam und andererseits hartnäckig auf die Menschenrechte hinzuweisen.
Sorge bereitet der FDP-Politikerin aber auch die Entwicklung auf ihrem ureigenen Themengebiet: der Politik in Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. „In der Slowakei beunruhigt mich gerade eine massive Regierungskrise. Auf vorgezogene Neuwahlen könnte eine pro-russische Regierung folgen – ähnlich wie in Ungarn.“
Deswegen fordert Renata Alt auch, die EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien auszusetzen. Der serbische Staat wie auch 80 Prozent der Bevölkerung würden Putins Politik unterstützen. „Serbien steht nicht hinter den Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland. Deswegen können wir derzeit nicht weiterverhandeln über einen möglichen Beitritt.“
Renata Alt ist sich der Verantwortung Koalitionsfraktionen bewusst, gut zusammenzuarbeiten. Eine Regierungskrise in Deutschland würde Russland und China in die Karten spielen, die alles tun, um Europa zu destabilisieren. Die Regierung Merkel kritisiert sie wegen deren Außenpolitik und bringt es auf die kurze Formel: „Wir waren naiv. Putin nicht.“
Auch in der Innenpolitik kommt Renata Alt nicht an Russland vorbei: Sie erwartet noch drei harte Jahre infolge des Ukraine-Kriegs. Was die Pandemie betrifft, hofft sie, „dass wir das Schlimmste hinter uns haben“. Ob es aber nun ums Maskentragen geht oder um das Herunterdrehen von Heizungen im Winter – Renata Alt setzt grundsätzlich auf mehr Pragmatismus in der Politik, und auf deutlich weniger Ideologie. Pragmatisch ist auch ein Besuch in Genf und Lausanne. Beim IOC will Renata Alt mit ihren Ausschussmitgliedern das Thema „Menschenrechte im Sport“ diskutieren. Stoff dafür gibt es genügend: Nach den Winterspielen in Peking steht schließlich noch die Fußball-WM in Katar an. Andreas Volz