Kirchheim
Die Hand, wenn sonst keine da ist

Hilfe Fünf Jugendbüros im Kreis Esslingen fangen Heranwachsende auf, die durchs soziale Netz zu rutschen drohen. Für das bundesweit einmalige Modell gibt es nicht nur Geld, sondern auch viel Lob. Von Bernd Köble

Orientierungslosigkeit bei der Berufswahl, Ärger mit Behörden, Schulverweigerung, Familienprobleme - Der Übergang ins Erwachsenenleben geht für viele Jugendliche mit Einsamkeit, Frust und Verzweiflung einher. Wer dabei nicht ausreichend Rückhalt findet, für den ist der Schritt in die ­Isolation ein kurzer. Hernwachsende, die durchs soziale Netz zu rutschen drohen, versucht man im Kreis Esslingen aufzufangen. Unter dem knappen Titel „GO!ES“ läuft hier seit Januar 2019 ein bundesweit einmaliges Förderprojekt mit Jugendbüros in fünf Großen Kreisstädten.

Maria Scheiding hat ihren Arbeitsplatz im zweiten Stock des Mehrgenerationenhauses Linde in der Kirchheimer Alleenstraße. Ein kleiner Raum, zwei Bildschirm­arbeitsplätze, für die 37-jährige Sozialarbeiterin des Vereins Brückenhaus ist es der Ort, an dem es Lösungen für vielerlei Probleme gibt. Wer zu ihr kommt, braucht Hilfe. Bei der Jobsuche, bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz oder einfach, wenn der Alltag zu schwer geworden ist für einen einzigen schmalen Rücken. Sie erklärt Behördenformulare, berät bei der Garderobenwahl fürs nächste Bewerbungsgespräch oder vermittelt weitere Hilfe durch Fachberatungsstellen, wenn ein Schuldenberg drückt oder die Seele leidet. Nicht selten geht es dabei um Themen wie Gewalterfahrung im Elternhaus, psychische Erkrankungen oder auch Suchtprobleme.

Maria Scheiding ist eine von drei sozialen Fachkräften von Brückenhaus und KIZ, die sich im Auftrag des Landkreises ein­einhalb Vollzeitstellen und das ­Kirchheimer Stadtgebiet ­aufteilen. Das gleiche Angebot gibt es in Nürtingen, Leinfelden-Echterdingen, Ostfildern und Esslingen. Hinzu kommt mit „WorKmobil“ ein zentrales Angebot in Esslingen, das benachteiligte Jugend­liche aufs Berufsleben vorbereiten soll. Das Erfolgsrezept: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beraten an einem zentralen Ort mit verlässlichen Öffnungszeiten und sind zugleich Streetworker. Gefährdete Jugendliche finden, bevor sie völlig abtauchen - das geschieht an bekannten Treffs und Plätzen in der Stadt oder einfach in der Schule. Die Helfer sind Netzwerker im besten Sinne, denn wo die eigene Unterstützung an Grenzen stößt, sind die Wege zu Fachstellen in Stadt und Kreis in aller Regel kurz.

Gut zwei Drittel sind männlich

Ihre Klientel ist bunt gemischt, im Alter zwischen 15 und 27 Jahren. Viele sind auf sich allein gestellt, anderen mangelt es aus verschiedenen Gründen an der nötigen Unterstützung im Elternhaus. Was auffällt: Mehr als zwei Drittel der Hilfesuchenden sind männlich. „Mädchen verfügen häufig über die besseren sozialen Netzwerke“, weiß Maria Scheiding aus Erfahrung. Jungs dagegen zieht es meist früher in Lehre und Beruf. Für alle gilt: Die Probleme haben sich durch Corona, durch Homeschooling und weggebrochene Kontakte zugespitzt. Zwar haben die Hilfsanfragen im vergangenen Jahr nicht zugenommen. „Die Beratungen, die stattgefunden haben, sind jedoch um ein Vielfaches aufwändiger gewesen“, sagt Barbara Ziegler-Helmer, die Leiterin des Kreisjugendamts.

Für manche Probleme gibt es schnelle Lösungen, etwa wenn es darum geht, einen Handyvertrag zu kündigen oder einen Bafög-Antrag zu stellen. Andere wiederum erfordern langfristige Begleitung, oft über viele Monate hinweg. Bei Unterstützung in der Ausbildung, bei Elternabenden in der Berufsschule, wenn Jugend­liche mit Gesetzen in Konflikt geraten oder selbst zu Opfern von Gewalt werden. Fast immer jedoch gilt: „Wir sehen den direkten Erfolg“, sagt Maria Scheiding. „Das ist das Schöne an unserer Arbeit.“

Auch politisch findet das Projekt starken Rückhalt. Kirchheims ehemalige Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker, die für die SPD im Kreistag sitzt, sieht darin nur einen Einstieg, mit dem der Blick auch auf die Jüngsten der Gesellschaft geschärft werden müsse. Es gehe darum, benachteiligte Kinder so früh wie möglich zu erreichen, sagt sie, und zu prüfen, wo Beratungsstellen noch enger kooperieren könnten. Auch Kreisverwaltungschef Heinz Eininger stellt sich hinter das Modell. „Wir wollen bei der Projektförderung in der Jugendhilfe nicht auf ausgetretenen Pfaden unterwegs sein“, sagt der Landrat. „Es geht darum, innovative Ideen zu fördern.“