Kirchheim
„Die Hilfe reicht gerade für die Miete“

Lockdown Tätowierer und Kosmetikerinnen sind ratlos. Sie verstehen nicht, warum sie trotz ihrer strengen Hygieneauflagen wieder schließen müssen. Jetzt verschulden sie sich. Von Lena Bautze

Die Arbeit lief auf Hochtouren, nachdem im Frühjahr einige Läden wie Tattoostudios oder „Barbershops“, die sich auf die Pflege von Bärten spezialisiert haben coronabedingt schließen mussten. „Wir hatten gerade einen Lehrling eingestellt“, sagt Frank Stauß, der zusammen mit seiner Frau Becky das Tattoostudio 2020 in Kirchheim leitet. Doch dann kam plötzlich Ende Oktober die Nachricht, dass das Geschäft schließen muss: „Wir waren total vor den Kopf gestoßen“, schildert er die Situation.

Ähnlich erging es Anja Heide, die in Weilheim ein Kosmetikstudio betreibt. „Im Haus der Gesundheit, in dem sich mein Laden befindet, haben alle anderen Betriebe geöffnet: Physiotherapie, Arzt, Sanitätshaus und Optiker. Nur ich musste schließen, obwohl wir Einzelkabinen haben. Es ist deprimierend“, sagt die Inhaberin frustriert. Im Dezember 2014 hatte sich Anja Heide ihren Traum vom eigenen Kosmetikstudio erfüllt und über die Jahre fünf Mitarbeiter eingestellt. Jetzt sind alle in Kurzarbeit.

Auch das Tattoostudio 2020 hat dieses Jahr Personal-Stellen aufgebaut. Drei Festangestellte und zwei Freiberufler unterstützen die Inhaber. „Wir haben seit unserer Öffnung im Juni 2019 immer versucht, mehr Arbeitsplätze zu schaffen“, betont Frank Stauß. „Doch jetzt werden wir dafür bestraft, gewachsen zu sein“, bedauert er. Im zweiten Lockdown gibt es die Regelung, dass die Betriebe bis zu 75 Prozent ihres Umsatzes vom November 2019 als Staatshilfe bekommen. „Genau dieser Monat war bei uns aber der schlechteste“, sagt Frank Stauß. Seine Frau war zu diesem Zeitpunkt die einzige Angestellte und zudem noch zwei Wochen krank. Von dieser Hilfe muss jedoch das Kurzarbeitergeld von jetzt drei Angestellten abgezogen werden. „Die Hilfe reicht gerade noch für die Miete. Ich kann mir davon kein Gehalt auszahlen“, erklärt Frank Stauß. „Klar, da haben wir jetzt Pech gehabt. Jedoch finde ich, dass man jedes Unternehmen einzeln betrachten sollte.“

Stechen darf Becky Stauß gerade nicht. Vor dem Lockdown war es erlaubt - jedoch nur mit Maske. Foto: pr
Stechen darf Becky Stauß gerade nicht. Vor dem Lockdown war es erlaubt - jedoch nur mit Maske. Foto: pr

Bei Anja Heide sind gerade November und vor allem Dezember die Monate, in denen sie die meisten Termine hat: „Es gibt Kunden, die nur im Dezember kommen, um sich selbst etwas Gutes zu tun.“ Jetzt fällt das Weihnachtsgeschäft fast komplett ins Wasser. In der Zeit des Lockdowns dürfen die Unternehmer 25 Prozent ihres normalen Umsatzes über den Verkauf von Produkten verdienen, ohne den Zuschuss zu verlieren. Anja Heide ist gerade jeden Tag im Laden und verschiebt Termine. Die Kosmetikerin muss ständig den Kontakt zu den Kunden aufrechterhalten, denn immer mehr kaufen Produkte online.

Finanziell kommen sowohl das Tattoo- als auch das Kosmetikstudio nicht ohne einen Kredit aus. „Die laufenden Kosten sind explodiert“, sagt Frank Stauß. Desinfektionsmittel und Handschuhe waren teilweise extrem teuer und in keinem Verhältnis zu Preisen vor der Pandemie. „Wir verschulden uns jetzt für die nächsten acht Jahre“, bedauert Frank Stauß. Das trifft den Unternehmer besonders hart, weil er eigentlich nie auf Fremdkapital angewiesen sein wollte. „Wir sind stolz darauf, 2019 unseren Laden nur mit unserem Eigenkapital eröffnet zu haben“, sagt der Inhaber von Tattoo 2020.

„Es ist wie ein leiser Krieg, der gerade stattfindet“, empfindet Anja Heide die Situation. „Es wird sehr lange dauern, bis sich die betroffenen Betriebe davon wieder erholt haben, wenn sie denn überhaupt überleben“, ist sie überzeugt.

Auch Frank Stauß kämpft mit den Folgen: „Wir leben gerade in Angst und Unsicherheit. Das, was die Situation mit uns nervlich gemacht hat, kann man nicht mit Geld aufwiegen.“