Glaubt man den Unkenrufen, steht einerseits die Ampel vor dem Aus und andererseits die Republik vor Neuwahlen. Die Nachfrage bei den drei hiesigen Bundestagsabgeordneten, die jeweils eine der Regierungsparteien vertreten, ergibt ein komplett anderes Bild: Keiner der drei zweifelt auch nur im geringsten daran, dass die Regierungskoalition bis zur nächsten regulären Wahl weiterarbeitet. Und selbst für den Fall, dass sich die Ampel verfrüht auflösen sollte, sähen sie darin keinen Automatismus, der zwingend zu Neuwahlen führen würde.
Auslöser für die aktuelle Debatte über die Zukunft der Ampel ist die mögliche Mitgliederbefragung der FDP, ob die Liberalen aus der Koalition austreten sollen. Die Kirchheimer FDP-Abgeordnete Renata Alt sagt dazu: „Die Mitgliederbefragung belastet uns weniger. Was uns viel mehr belastet ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt, auch wenn wir damit fast gerechnet hatten.“ Die Folgen eines Austritts aus der Regierung hält sie für gravierend: „Wir haben keinen Grund, aus der Koalition auszutreten, schon gar nicht angesichts der aktuellen geopolitischen Lage.“ Europa brauche stabile Regierungsverhältnisse in Deutschland und Frankreich.
„Bei Gesprächen mit der Parteibasis höre ich sehr viel mehr Unmut über die Mitgliederbefragung als Zustimmung. Alle Erfahrenen sagen, das wäre verantwortungslos und käme einem Verrat an den Bürgern gleich.“ Die Regierung müsse stabil bleiben – „gerade jetzt“. Was die Koalition in schwierigen Zeiten alles umgesetzt habe, hält Renata Alt für „bewundernswert“. Die Unionsfraktion wäre ihrer Meinung nach gut beraten zu kooperieren: „Die Union kritisiert jetzt gerade das, was sie teils selbst angerichtet hat – vor allem die Abhängigkeit von Russland auf dem Energiesektor.“
Als Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe berichtet sie von einem sehr guten Arbeitsklima in ihrem Ausschuss, gerade auch unter den Abgeordneten der Ampel-Fraktionen: „Da gibt es höchstens mal Diskussionen um die Finanzierung der humanitären Hilfe.“
Nils Schmid vertritt die Kanzler-Partei SPD im Bundestagswahlkreis. Der Wunsch nach einer Mitgliederbefragung innerhalb der FDP zeigt für ihn, dass es da eine gewisse Unzufriedenheit gebe. Das sei aber nicht ungewöhnlich: „Wir kennen das selbst, aus den Zeiten der großen Koalition.“ Das Ergebnis einer Befragung sei aber nicht bindend, und außerdem geht Nils Schmid davon aus, „dass sich die FDP-Spitze zur Ampel bekennen wird und dass sie dafür auch bei ihren Mitgliedern werben wird“. In der Koalition sei ja noch vieles umzusetzen, was der FDP wichtig ist. „Alle drei Parteien haben ein Interesse daran, dass sie gemeinsam gut regieren. Alle drei haben ihre Anliegen im Koalitionsvertrag untergebracht.“ Der Vertrag gelte, „und daran wird sich auch die FDP halten“.
Zum Haushalt stellt er fest: „Das Bundesverfassungsgericht hat uns Leitplanken gegeben. Danach müssen wir uns richten. Wir werden den Haushalt jetzt eben ein paar Wochen später beschließen. Das ist eine komplizierte Sache, aber es ist keine Haushaltskrise.“ Bei den strittigen 60 Milliarden Euro gehe es um Klimaschutz, erneuerbare Energien oder die Infrastruktur. „Das sind wichtige Themen für alle drei Parteien, und deswegen müssen wir die Lösung für den Haushalt sorgfältig erarbeiten. Wir werden uns da zusammenraufen. Alle drei Parteien haben ein Interesse daran, dass der Haushalt zustandekommt.“
Auch der Grünen-Abgeordnete Matthias Gastel lobt die Arbeit der Regierung: „Die Ampel hat Dinge erreicht, die vor ihr keine andere Koalition erreicht hat.“ Er verweist auf eine aktuelle Bertelsmann-Studie, der zufolge ein Drittel der Versprechen aus dem Koalitionsvertrag bereits umgesetzt sei und ein weiteres Drittel sich in der Umsetzung befinde: „Wir haben viele Hilfspakete geschnürt während der Hochphase der Inflation, für Unternehmen, aber auch für Bürgerinnen und Bürger.“
Auch wenn es mühsam sei, die Positionen von drei unterschiedlichen Parteien zusammenbringen, sei eine andere Regierungskoalition nicht unbedingt leichter: „Ich sehe keine Gefahr, dass die Ampel vor den nächsten regulären Wahlen auseinanderbricht. Wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden, die wir gemeinsam übernommen haben.“ Sollte die FDP tatsächlich aus der Regierung aussteigen, seien deswegen noch lange keine Neuwahlen im Grundgesetzt vorgesehen: „Wir haben eine Regierung, die auf vier Jahre gewählt ist. Wenn da einer aussteigt, machen die anderen weiter und suchen sich neue Mehrheiten.“
Was Deutschland derzeit am allerwenigsten brauche, sei eine Beschäftigung der Parteien mit sich selbst: „Wir brauchen Entscheidungen, und wir brauchen Handlungsfähigkeit.“ Beim Parteitag der Grünen in Karlsruhe gehe es darum, „Rückendeckung für das zu bekommen, was man tut“.