Kirchheim
Die Ministerin erklärt sich zum Kirchheim-Fan

Wohnen Nicole Razavi, verantwortlich für Landesentwicklung und Wohnen, diskutiert im Begegnungszentrum „Wir Rauner“ zum Thema „Zuhause statt zu teuer“.  Von Thomas Zapp

Nicole Razavi ist beeindruckt: „Ich habe nach meinem Amtsantritt eine Wohnbau-Reise durch das Land unternommen und tolle Beispiele gesehen, was man aus einer 50 Jahre alten Zeilenbau-Siedlung machen kann. Eins davon hier in Kirchheim“, sagt die Ministerin. Als Leiterin des neu geschaffenen Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen in Baden-Württemberg ist sie vor allem auf der Suche nach Lösungen für neuen und bezahlbaren Wohnraum. 

Da kam die Einladung ihrer CDU-Parteikollegin Dr. Natalie Pfau-Weller nach Kirchheim gerade recht: Im Rauner-Quartier der Teckstadt waren vor knapp zehn Jahren durch geschickte Umbaumaßnahmen aus 72 alten Mietswohnungen 95 moderne Wohneinheiten entstanden: mit Tiefgarage, privaten und gemeinschaftlichen Höfen und Gärten, einer modernen Heizzentrale und dem Begegnungszentrum „Wir Rauner“. Dorthin hat Natalie Pfau-Weller zur Talkrunde „Zuhause statt zu teuer“ außer der Ministerin auch Kreisbau-Vorstandssprecher Bernd Weiler sowie Dr. Iris Beuerle, Direktorin des Verbands baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen, eingeladen.

Nicole Razavi bemängelt die niedrige Eigentumsquote bei Immobilien in Deutschland, die im europäischen Vergleich niedrigste nach der Schweiz. Dabei gebe es einen großen Wunsch junger Leute nach einem eigenen Haus. Dagegen stellt Bernd Weiler die Frage: „Muss es wirklich Eigentum sein?“ Eine genossenschaftliche Beteiligung sei günstiger und flexibler, man könne auf geänderte Lebensumstände reagieren und innerhalb der Genossenschaft die Wohnung wechseln, sobald es möglich sei.

Die CDU-Politikerin schlägt weitere Instrumente vor, wie die Senkung oder gar Tilgung der Grunderwerbssteuer: „Die hohen Kosten beim Erwerb stellen mittlerweile auch für die Mittelschicht ein Problem dar.“ Das erweise sich zunehmend als Schwächung des Wirtschaftsstandorts, wenn Arbeitskräfte bestimmte Regionen meiden, weil sie dort keine Wohnungen finden.  Ein weiteres Problem seien bis zu 80 Prozent gestiegene Materialkosten.  „Man muss das Baurecht überprüfen, neue Bautechniken möglich machen“, sagt sie. Auch modulares Bauen biete Chancen. „Für sogenannte Enkelgrundstücke kann das eine Lösung sein.“ Eine Holzkonstruktion könne man eher wieder abbauen, wenn die alten Besitzer das Grundstück doch verkaufen wollen oder es die Enkel dann doch übernehmen. Es werde daher einen neuen Fördertopf „Neues Wohnen“ geben. Mini-Wohnformen wie Tiny Häuser sieht sie als dauerhafte Lösung eher nicht: „Da kriegen Sie kaum eine Waschmaschine rein.“

Lösungen für alte Gebäude

Iris Beuerle appelliert dabei an die Oberbürgermeister und Bürgermeister im Publikum, beim Verkauf öffentlicher Grundstücke Umsicht walten zu lassen. „Es ist wichtig, wem sie das Grundstück geben.“ Private Bauträger seien keine dauerhafte Lösung, daher nutzt sie die Gelegenheit zur Werbung für Genossenschaften als Partner der öffentlichen Verwaltung: „Die planen mindestens für 100 Jahre.“ Da liegt sie auf einer Linie mit Kreisbau-Vorstandssprecher Bernd Weiler. 

Der warnt vor zu viel Fördergeldern: „Der Markt reagiert und passt die Preise an.“ Ein weiterer Preistreiber beim Bau seien auch neue Energieeffizienzklassen. „Da steigen die Kosten um acht bis zehn Prozent, die können Sie nicht auf die Miete umlegen“, sagt er. Dann würden manche Investoren lieber gar nicht bauen. Einig ist sich die Runde bei der Erleichterung der Landesbauverordnung und der Erleichterung von Genehmigungsverfahren. „Da müssen wir ran“, sagt Natalie Pfau-Weller. 

Wichtig sei es auch, so Nicole Razavi, in den Städten Lösungen für alte Gebäude zu finden und dabei Gebäudestandards nicht zu hoch zu setzen. „Wir brauchen eine Renaissance der Dorfkultur, das ist in Kirchheim sehr gut gelungen, die Stadt hat ihren Stil und Charakter erhalten, ich komme sehr gerne nach Kirchheim“, sagt die Ehrenvorsitzende des CDU-Kreisverbandes Göppingen.

Generell brauche es aber ein Umdenken, fordert sie, dazu gehöre: „Akzeptanz für Neubauten und eine intensivere Flächennutzung im Stadtkern.“ Dabei müsse es auch Vereinfachungen geben. „Die Umbau- und Erneuerungskultur fördern, das ist in puncto CO2-Ausstoß besser als mit Zement neu zu bauen“, sagt Kirchheims Bürgermeister Günter Riemer, der im Publikum sitzt. Da hat die Ministerin eine gute Nachricht: „Der nächste Staatspreis im kommenden Jahr wird für Umbaukultur vergeben, das ist eine richtig gute Sache, weil sie nachhaltig ist.“ Vielleicht denkt sie dabei schon an Kirchheim.