Kirchheim
Die Narren tauchen nach den Teufeln auf

Brauchtum Jedes Detail am Häs wie Schellen und die Schweinsblase hat seinen tieferen Sinn. Kaum einer kennt die Ursprünge der Fastnachtstraditionen besser als Professor Werner Mezger. Von Peter Dietrich

Was brachte den Fastnachtsexperten Professor Werner Mezger aus Rottweil ausgerechnet nach Plochingen? Wo sich die Narretei dort doch, wie es Bürgermeister Frank Buß selbst formulierte, aufs Rathaus beschränkt? Es war der Schwäbische Albverein, der wusste, wie lebendig und tiefschürfend Werner Mezger berichten kann. Deshalb hatte er ihn zum wiederholten Mal eingeladen.

„Fastnacht war nie eine Winteraustreibung“, stellte Mezger klar. Die Vorstellung, den Winter mit Masken vertreiben zu wollen, sei zu merkwürdig. Der Experte begann seinen Rückblick im hohen Mittelalter, bei der „Nacht vor dem Fasten“. Bei diesem Fest wurden noch mal die Speisen verzehrt, die in der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern - die sechs Sonntage nicht mitgerechnet - verboten waren. Auch das Wort „Karneval“ verweist auf diesen Ursprung, es kommt von „carnem levare“, das Fleisch wegnehmen. Auch Eier, Butter und Käse waren untersagt, was die Frage aufbringt, was man in dieser Zeit mit den Hühnern gemacht hat? Sie wurden zum Teil vor der Fastenzeit als Zinshühner abgeliefert und vom Adel und der Geistlichkeit verspeist. Dennoch gab es bis Ostern einen Eierüberschuss, so kam Ostern zu den Eiern.

Die Kirche reagierte auf die Fastnacht zunächst psychologisch-nachsichtig, so Werner Mezger. Doch im 15. Jahrhundert änderte sich das, etwa durch die Franziskaner und Dominikaner. Aus dem Wirtschaftsbrauch wurde die „civitas diaboli“, die Fastnacht wurde auf den Teufelsstaat bezogen, der dem Gottesstaat entgegensteht. Die älteste Fastnachtsverkleidung ist deshalb auch der Teufel.

Die Larven wurden nicht extra für Fastnacht hergestellt, sondern sie wurden ohnehin für die Prozessionen gebraucht, zum Beispiel an Fronleichnam. Einmal im Jahr wurden die Negativfiguren für Fastnacht ausgeliehen. Die freundlich wirkende Glattlarve ist schon auf einem italienischen Gemälde um 1500 zu sehen, und damit älter als oft vermutet. „Hinter der Larve tun sich Abgründe auf“, sagte Mezger und belegte dies mit einem Bild, bei dem sich hinter der Larve der Teufel verbirgt.

Nach den Teufeln tauchten die Narren auf. Die Definition des Narren, so Werner Mezger, finde sich am Anfang von Psalm 53 in der Bibel: „Ein Narr ist derjenige, der sagt, es gebe keinen Gott.“ Nichts an seinem Häs sei Zufall. Die Keule des Narren entwickelte sich zum Zepter mit kleinem Kopf, Gelb und Rot wurden die Standardfarben, es kamen Schellen und Eselsohren hinzu und schließlich der Hahnenkopf, das Zeichen der Geilheit. Das Narrenkostüm kam auch auf Passionsspielen vor. Auch in der Polemik für und wider die Reformation war der Narr vertreten: Ein Vexierbild zeigte einen Kardinal, der bei Drehung um 180 Grad zum Narren wurde.

Das Gesicht des Narren wiederholte sich in der Marotte, dem Stab des Narren, ein kleiner Spiegel galt als Zeichen der Selbstliebe. „Der Narr ist unfähig zur Nächstenliebe.“ Doch der kleine Narr im Spiegel streckte dem großen Narren auf manchem Bild die Zunge heraus. Später transformierte der Stab zur Wurst, an deren Bedeutung ließ Mezger keinen Zweifel: „Der Narr bietet seine Wurst an, das ist definitiv nicht jugendfrei.“ Die Schellen hatten eine negative Bedeutung und erinnerten an die sieben Todsünden, allen voran die Superbia, die Überheblichkeit. Am Fastnachtssonntag wurde dazu passend über 1. Korinther 13 gepredigt: Wer die Liebe nicht hat, tönt wie eine klingende Schelle. Die gläserne Kugel und die Schweinsblase erinnern an die Vergänglichkeit: Sie sind wie eine Seifenblase, die platzen kann. Und das Stirnmal der Narrheit, das auf vielen Bildern zu sehen ist? Das ist genau an der Stelle zu finden, an dem den Gläubigen an Aschermittwoch ein Kreuz aus Asche auf die Stirn gezeichnet wird. Das ruderlose und unsteuerbare Narrenschiff ist ein Gegenmodell zum Schiff des Heils und zur Arche Noah. Die Narrenmutter ist ein Bild für Eva und die Erbsünde, so wie es auf einer Darstellung in einer Kirche zu sehen ist: „Die Narrheit frisst jeder mit dem ersten Brei.“

Der Narr und der Tod sind sich sehr nahe: „Der Narr ist der Tod, er ist durch seine Narrheit schon im Leben gestorben.“ Fastnacht und Fastenzeit, so Werner Mezger, sind letztlich zwei kontrastierende Welten. Bei den Bräuchen von Fastnacht bis Ostern geht es um die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit menschlicher Existenz. Warum wird die Fastnacht in protestantischen Gemeinden weit weniger gepflegt? Das hängt mit dem Reformator Martin Luther zusammen, der die Fastenzeit abgeschafft hat. So war es auch nicht mehr nötig, vorab das künftig Verbotene ausgiebig zu genießen. Die Fastnacht schlief deshalb vielerorts ein.

Heute, so die Überlegung Werner Mezgers, könne die Fastnacht eine internationale Brücke sein: „Das kulturelle Kapital Europas ist in ganz Europa ganz ähnlich.“