Es ist die Zeit der Happenings und Konzeptkunst, die gegen die elitäre „Hochkunst“ des Bürgertums wettert. In diesem Zeitraum engagieren sich einige kunstinteressierte Kirchheimer, um einen Kunstbeirat des Städtischen Museums im Kornhaus zu gründen. Die Idee einer kreativen Bürgerinitiative ist neu.
Nach dem Ausstellungserfolg „Kunst im Freien“, 1978 im Garten Mack bietet die Stadt das neu renovierte Erdgeschoss des Kornhauses als dauerhaften Ausstellungsraum an. Eine einzigartige Kooperation zwischen Stadt und Kunstbeirat entsteht. Die Stadt unterstützt finanziell und ist froh über eine Belebung des Kornhauses. Der Kunstbeirat hat Handlungsfreiheit und präsentiert fortan eigenverantwortlich zeitgenössische und regionale Arbeiten. Man sieht sich als Wegbereiter von sozialer Teilhabe an Kultur.
Die Anfänge sind nun 40 Jahre her. „Kunst soll wecken, man wollte wecken“, sagt Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker in ihrem einleitenden Grußwort. Mit einem breiten Spektrum sei es gelungen, eine unverzichtbare Einrichtung für die Stadt zu sein. Aus diesem Anlass feiern sowohl die Städtische Galerie im Kornhaus als auch der ehrenamtlich arbeitende Kunstbeirat das vierzigste Jahr ihrer Ausstellungstätigkeit mit einer Diskussionsrunde im Kornhaus zu dem Thema: Wo stehen wir heute? Impuls, Provokation, Last?
An der Diskussionsrunde nehmen Dr. Axel Burkarth von der Landesstelle für Museumsbetreuung, Simone Demandt, Erste Vorsitzende des Künstlerbundes Baden-Württemberg, die ehemalige Bürgermeisterin von Kirchheim Susanne Weber Mosdorf und der ehemalige Kunstbeirat Dieter Brunner teil. Durch den Abend moderiert die Kulturjournalistin Adrienne Braun.
Den geladenen Gästen fällt sofort ein leerer Stuhl in der Runde auf: „Hier ist nicht einer krank geworden“, witzelt die Moderatorin, sondern dies sei der „heiße Stuhl“, auf dem Gäste an der Diskussion teilnehmen können, neudeutsch: „Fish-Bowl“-Diskussion. Diese lassen sich nicht lang bitten. Das Spektrum reicht von Schülern, Kunstlehrern, ehemaligen Beiratsmitgliedern bis hin zu interessierten Laien. Eine Schülerin als Vertreterin der jungen Generation vertritt die Meinung, dass das Kornhaus genügend Raum biete, um vielfältige „Spielformen“ zu entwickeln. Dadurch könne es Impulse in der Jugendarbeit geben, wenn man sich auf einen kreativen Lernprozess einließe.
Einem der Gäste, einem Kunstpädagogen, fällt gerade das schwer. „Zu manchen Sachen, die ausgestellt sind, finde ich keinen Zugang, das hat keinen ästhetischen Reiz für mich“, räumt er ein. Erst ein Zeitungsartikel bringe ihm den Durchblick. Dabei solle das Kunstverständnis eben nicht ex cathedra doziert werden, sondern sich in einem demokratischen Prozess widerspiegeln, so formulieren es die Gründungsmitglieder. „Die Besucher werden eingeladen, mitzuspielen und Erfahrungen zu sammeln.“
Kunst und Kultur sind Teil der modernen Gesellschaft. Längst habe man in Zeiten der Nullzinspolitik die Kunst als Anlagemodell entdeckt. Heinz Schlaffer, Germanist aus Stuttgart, hat das Stichwort „Betreutes Sehen“ geprägt. Überall versuchten eine Fülle von Kommentatoren Nachhilfe im Umgang mit Kunst zu geben. Die Besucher hätten zwar die Schwellenangst vor den „heiligen Hallen“ überwunden, gestehen sich ihre Hilfsbedürftigkeit ein, indem sie sich einer Führung anschließen würden. Für ihn habe sich die Hoffnung auf das selbständige Urteil des Besuchers einer Ausstellung nicht erfüllt.
Wie also lassen sich sperrige Arbeiten erschließen? Man ist sich einig, dass vermehrt Diskussionsangebote wichtig seien. Ein Beitrag erklärt, dass Kunst beim fertigen Objekt schon zu Ende sei und der Schlüssel im Entstehungsprozess liege. So habe Beuys versucht, die Kunst über neue Formen zu erschließen, sodass der Zuschauer einen aktiven Part übernehme und eben nicht dastehe wie „der Ochs vorm Berg“. „Der Kunstbegriff ist nicht starr“, deshalb richte sich die Einladung an jeden, sich auf den Weg zu machen, gleichsam mit oder ohne Kommentar. Weiterhin werde der Kunstbeirat das Profil des Kornhauses schärfen und an der bestehenden Kontinuität festhalten.
Zum Abschluss an diesem Abend wollte Moderatorin Adrienne Braun von den Teilnehmern einen Ausblick, einen Wunsch für die Zukunft des Kornhauses entwickelt haben. „Man muss die Neugier aufrechthalten“ in Form von Werbung und Kommunikation. „Vielleicht ist die Lösung, etwas Neues zu wagen, indem man Informationen an die Außenwände projiziert?“ Ganz wichtig sei auf jeden Fall der Dialog mit der Öffentlichkeit, mit den Medien. Das Kornhaus solle weiterhin ein offener Raum sein und bleiben.