Alles bleibt beim Alten: Auch bei der Kommunalwahl 2024 bleibt den Kirchheimer Wählern die unechte Teilortswahl erhalten. Der Gemeinderat hat der Abschaffung eine deutliche Absage erteilt. Die unechte Teilortswahl garantiert den Teilorten Jesingen und Nabern eine bestimmte Menge an Sitzen im Gemeinderat: drei für Jesingen und zwei für Nabern.
Das Argument, das immer wieder gegen diese Regel ins Feld geführt wird, ist die Komplexität: Weil es alles andere als einfach ist, die Stimmzettel richtig auszufüllen, werden immer wieder ungültige Stimmen abgegeben – oder es werden Stimmen verschenkt. Ohne die unechte Teilortswahl ließe sich der Wählerwille also leichter umsetzen, weil es mehr Stimmen gäbe, die zählen.
Ein weiteres Argument gegen die unechte Teilortswahl sind die Ausgleichssitze: Wenn eine Liste sowohl in Jesingen als auch in Nabern dadurch einen Sitz bekommt, wäre sie überrepräsentiert. Zum Ausgleich erhalten andere Listen dann einen zusätzlichen Sitz. Deshalb hat der Kirchheimer Gemeinderat derzeit 37 Mitglieder, obwohl er eigentlich nur aus 32 Mitgliedern bestehen sollte.
Was wiederum für die unechte Teilortswahl spricht – zumindest aus Sicht der Jesinger und der Naberner: Beide Ortsteile haben dadurch ihre festen Sitze und ihre garantierte Anzahl von Vertretern im Gemeinderat. Und um die Fehleranfälligkeit zu verbessern, könnte es auch andere Möglichkeiten geben als die Abschaffung der unechten Teilortswahl, meinte Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader im Gemeinderat. Er selbst wollte deshalb auch für die Beibehaltung stimmen.
Die stärksten Befürworter der unechten Teilortswahl im Ratsrund waren erwartungsgemäß zwei „Betroffene“ aus der Fraktion der Freien Wähler. Der Jesinger Reinhold Ambacher fragte: „Warum sollen wir das jetzt aufgeben – ohne Not, ohne irgendeine Verbesserung dafür zu bekommen, ohne dass im Gegenzug unsere Kompetenzen erweitert werden?“
Der Naberner Rainer Kneile beklagte: „Ein kompliziertes Wahlsystem lässt sich wohl leichter abschaffen als vereinfachen.“ Zudem sieht er in der Größe des Gremiums keinen Nachteil, sondern sogar einen Vorteil für alle Ratsmitglieder: „Wir haben eine ungeheure Aufgabenvielfalt. Da hilft es uns allen, wenn wir diese Aufgaben auf möglichst viele Schultern verteilen können.“
Stimmzettel anders gestalten
Auch die anderen Redner sprachen sich überwiegend dafür aus, das System der unechten Teilortswahl im Vorfeld der Wahlen besser zu erklären und vielleicht auch die Stimmzettel anders zu gestalten, sodass die Wählerinnen und Wähler besser erkennen können, wie die einzelnen Stimmen zu verteilen sind. Auch wollten sie die unechte Teilortswahl nicht gegen den erklärten Willen der beiden Ortschaftsräte abschaffen.
Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Manfred Machoczek beantragte, dass die Stadtverwaltung ein ganzheitliches Konzept zu dem Thema erstellt, wie man die Teilorte besser beteiligen kann. Sein SPD-Kollege Marc Eisenmann erinnerte daran, dass es auch noch die Teilorte Ötlingen und Lindorf gibt und dass deshalb alle vier Teilorte einzubinden seien. Um die Ortschaftsräte zu stärken, schlug er vor, ihnen mehr Themen zu geben, über die sie selbst entscheiden können, ihr Budget zu erhöhen und ihnen ein Antrags- sowie ein Anhörungsrecht im Gemeinderat einzuräumen.
Nachdem der Gemeinderat mit großer Mehrheit zugestimmt hat, die Vertwaltung mit der Konzept-Erstellung zu beauftragen, erteilte er dem Antrag auf Abschaffung der unechten Teilortswahl eine klare Absage: Lediglich neun Befürworter des Antrags wollten an diesem Wahlsystem definitiv nicht mehr festhalten.
Kommentar von Andreas Volz zur unechten Teilortswahl
Das „Do ut des“-Prinzip wäre wichtig
Es wäre eine große Chance gewesen: Tatsächlich ist die unechte Teilortswahl so kompliziert, dass es vernünftig gewesen wäre, künftig darauf zu verzichten. Nicht nur für das Wahlvolk ist das System ein Buch mit sieben Siegeln. Auch die Auszählung verzögert sich dadurch enorm: Immer wieder gab es deswegen Chaos.
Andererseits: Der Verweis auf das komplexe System genügt nicht als Begründung, um die unechte Teilortswahl einfach abzuschaffen. Schon im alten Rom war das „Do ut des“-Prinzip bekannt: „Ich gebe, damit du gibst.“ Wer mir etwas geben soll, dem muss auch ich etwas anbieten.
Genau daran hat es gehapert: Die Teilorte Jesingen und Nabern hätten auf ihre garantierten Sitze im Gemeinderat verzichten sollen – und was dafür bekommen? Nichts. Da ist es kein Wunder, wenn ihre Vertreter darauf beharren, dass die Eingliederungsvereinbarungen unverändert gelten sollen, auch wenn sie schon bald 50 Jahre alt sind.
Mehr Rechte und mehr Eigenverantwortung: Gegen diese Zusicherung hätten die Ortschaftsräte abwägen können, die unechte Teilortswahl vielleicht doch aufzugeben. Ohne ein solches Angebot lässt sich das komplizierte Wahlsystem nie ändern.
Die Stadt könnte durch solche Angebote auch mehr Gerechtigkeit schaffen: mehr Rechte und vor allem die gleichen Rechte für alle vier Teilorte! Denn für Ötlingen und Lindorf gilt die unechte Teilortswahl nicht – nur weil sie knapp 40 Jahre früher eingemeindet wurden.
Vielleicht stehen solche Anreize im neuen Konzept. Dann könnten die Wahlen 2029 ohne unechte Teilortswahl auskommen – und Jesingen und Nabern wären zufrieden, weil sie echte Vorteile dafür erhalten würden.