Kirchheim. Die Zahlen sind alarmierend. Die Politik verspricht zusätzliche Hilfen. Gewalt gegen Frauen ist ein Thema, über das man inzwischen offen redet. Was das für den Alltag in Frauenhäusern und Beratungsstellen bedeutet und mit welchen Problemen dort gekämpft wird, wollten wir von Irmgard Pfleiderer, Diplom-Sozialpädagogin beim Kirchheimer Verein „Frauen helfen Frauen“, wissen.
Frau Pfleiderer, was bereitet Ihnen in Ihrer täglichen Arbeit mit Frauen in Not zurzeit am meisten Probleme?
Irmgard Pfleiderer: Das größte Problem, das uns zurzeit beschäftigt, ist ganz klar der Wohnungsmarkt. Was die Verweildauer im Frauenhaus betrifft, gibt es zwar keine festgelegten Zeiten, ein halbes Jahr ist aber das, was wir als Grenze anvisieren. Nach Ankommen und Stabilisierungsphase ist das in der Regel die Zeit, nach der die Frauen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie es weitergehen soll. Dazu gehört in der Regel auch eine eigene Wohnung, die aber kaum zu finden ist. Das heißt, die Fluktuation ist im Moment viel geringer als sie sein sollte.
Wer im Moment in Kirchheim Zuflucht sucht, hat also keine Chance?
Pfleiderer: Zurzeit sind wir voll belegt. Wir haben offiziell zwölf Plätze. Im Moment wohnen vier Frauen und zehn Kinder bei uns.
Was passiert also mit jemand, der in akuter Not ist und schnell einen Platz braucht?
Pfleiderer: Wir sind natürlich vernetzt. Wenn Anfragen kommen, wird geschaut, in welchen anderen Häusern Platz zur Verfügung steht. Das läuft dann möglicherweise landesweit.
Weit weg vom alten Leben ist häufig gewollt. Es kann aber auch zum Problem werden. Etwa, wenn schulpflichtige Kinder im Spiel sind.
Pfleiderer: Das muss im Einzelfall entschieden werden, aber es ist durchaus üblich, dass Kinder dann den Schulort wechseln. Frauen mit Kindern, die gut integriert sind, wollen natürlich meist in der Nähe ihres alten Wohnorts bleiben. Das ist schon häufig ein Problem, weil es auch um Sicherheit geht. Inwieweit die gegeben ist, muss in Vorgesprächen geklärt werden. Es gibt aber auch Frauen, die größtmögliche Distanz suchen und in ein ganz anderes Bundesgebiet wollen. Generell kann man sagen, Frauen, die bei uns sind, kommen in den seltensten Fällen aus Kirchheim oder direkter Umgebung. Leider ist das Angebot an Unterkünften und Beratung regional sehr unterschiedlich. Der Landkreis Esslingen ist mit 48 Plätzen an drei Standorten in Kirchheim, Esslingen und Filderstadt sehr gut aufgestellt.
Wenn vom gesellschaftlichen Wandel die Rede ist, ist der Weg zu Moralverlust und zunehmender Gewaltbereitschaft meist kurz. Haben Sie heute mit anderen Fällen zu tun als früher?
Pfleiderer: Was wir täglich erleben, ist nur ein kleiner Ausschnitt. Ob mehr oder andere Gewalt im Spiel ist, darüber will ich keine allgemeine Aussage machen. Bei uns landen natürlich nur Frauen, die Gewalt erlebt haben. Das ganze Spektrum von sexuellem Missbrauch über Waffengewalt bis hin zu Todesdrohungen gab es aber schon immer. Todesfälle hatten wir in unserem Bereich bisher zum Glück nicht.
Ist es Ihnen gelungen, Schwellenängste abzubauen?
Pfleiderer: Es dauert oft Jahre, bis Frauen sich durchringen, zu uns zu kommen. Dass unser Angebot bekannter geworden ist, dass offener darüber geredet wird, hat vieles erleichtert. Noch immer brauchen viele Opfer aber mehrere Anläufe, bis sie endgültig gehen.
Ist Gewalt in Ehe und Partnerschaft eine Frage des sozialen Standes?
Pfleiderer: Gewalt gegen Frauen zieht sich durch alle sozialen Schichten. Dass überwiegend Frauen aus prekäreren Verhältnissen Hilfe bei uns suchen, liegt allein daran, dass deren soziales Netz in der Regel schlechter ist.
Sie bieten einen Schutzraum an. Wie groß ist die Sicherheit, die Sie bieten können?
Pfleiderer: Sehr groß. Es kommt so gut wie nie vor, dass ein Mann plötzlich vor der Tür steht. Situationen, in denen wir die Polizei einschalten müssen, die gibt es, aber äußerst selten. Die Frauen fühlen sich bei uns sicher.
Gibt es Ausschlusskriterien?
Pfleiderer: Wenn eine Frau primär Suchtprobleme hat oder von Obdachlosigkeit betroffen ist. Dafür gibt es andere Hilfen. Bernd Köble