Oswald Binder ist berühmt für seine Krippen. In Handarbeit baut er die rustikalen Modelllandschaften mit filigranen Details und einzigartiger Architektur. Seine Werke sind so außergewöhnlich und so wohlgeraten, dass er jüngst mit Felice Turco, der ebenfalls Weihnachtskrippen baut, im Geschichtshaus in Owen aufwändig hergestellte Krippen, Bücher und Informationen zu deren Entstehung ausstellte. Dabei ist das Krippenbauen für Oswald Binder nur ein Hobby: Die Krippen, die er baut, gehen nur an Freunde und Familie. Seine Leidenschaft soll weder in Stress ausarten noch sich wie Arbeit anfühlen. „Ich will keine Frist einhalten müssen“, erklärt der Kirchheimer. Er will sich ans Werk machen, wenn ihn die Muse küsst, und pausieren, so oft und so lang, wie er möchte. Die Krippen sind für den Hobbybauer eine riesige Leidenschaft – aber sie bleiben pures Freizeitvergnügen.
Gearbeitet hat der Rentner lange genug: Er war Fabrikplaner bei Siemens, hat das große Trafowerk in Kirchheim mitgeplant. Man könnte sagen: Gebäude zu planen, liegt Oswald Binder. Und man könnte sagen: Eigenschaften wie räumliches Vorstellungsvermögen, Wissen über Statik und die Fähigkeit, Gebäudegrundrisse auf Papier festzuhalten, kann der Kirchheimer auch beim Krippenbauen nutzen. Und eben auf diese Weise beginnt Oswald Binder mit seinen Krippen. Durch diese Reisen hat er schon vor vielen, vielen Jahren seine Faszination für die alpenländischen Krippen entdeckt. Dann bekam er in den 2000er-Jahren einen Krippenbausatz geschenkt – zu Weihachten gab es dann ein Buch: „Wie baut man alpenländische Krippen?“ Binder las sich ein – und wagte sich an seine erste Krippe. Als „Grundstein“ nutzte er das Bauset, doch schnell erweiterte er das „Fertighaus“ um weitere Teile. Damals bestand das gesamte Werk noch aus Naturmaterialien, außerdem baute er einen kleinen Brunnen ein, durch den echtes Wasser floss.
Diese erste Krippe steht auch heute noch im Wohnzimmer des Kirchheimer Krippenbauers. Auch kleine Leuchtelemente, wie eine Feuerstelle und eine Laterne, kann man entdecken. Der Clou: Es handelt sich um Miniaturlampen, die ihren orangefarbenen Schein auch im Dunklen verbreiten können. Die Bäume und Büsche sind kleine Mitbringsel aus der Natur, doch die kleinen Figuren, Menschen, Vieh und anderes Getier, die findet Oswald Binder im Internet. Vieles gibt es in unterschiedlichen Größen – sie müssen schließlich zum Gebäude passen.
Dann aber entdeckte Oswald Binder einen Zeitungsartikel über den Krippenbauer Kurt Post. Dieser baut seine Krippen zum größten Teil aus Styrodur. Das ist stabil, lässt sich aber mit einfachen Materialien formen. Der Kunststoff hat außerdem wenig Gewicht, ist einfach zu beschaffen und auch über lange Zeiträume hinweg unempfindlich. Dabei lässt sich das Styrodur mit ein wenig Geschick so bearbeiten, dass es den natürlichen Materialien zum Verwechseln ähnlich sieht. Und so absolvierte der Krippenbauer einen zweitägigen Kurs bei dem Maestro aus Neckartailfingen und erlernte das Handwerk des Krippenbauens mit Styrodur.
In seinem Kirchheimer Zuhause, wo er einen Raum zur Werkstatt umfunktioniert hat, wendet Oswald Binder seitdem Posts Technik an. Zuerst bringt er – nach wie vor – seine Vorstellung zu Papier. Dann aber baut er ein Gerüst aus Kunststoff. Anschließend nimmt er Styrodur-Platten. Zuerst malt er mit einem Bleistift Türrahmen, Fenster und Ziegel aus Holz, dann schneidet er Fenster und Türen aus und fährt mit einem Bleistift die Strukturen der Ziegel so nach, dass sich der Abdruck im Styrodur festsetzt. Mit einer Walze, die er mit kleinen Steinen beklebt hat, fährt er dann an den ausgesparten Teilen des Kunststoffes entlang – diese „Wandflächen“ könnten als Rauputz durchgehen. Die Flächen bemalt er mit Dispersionsfarben, bis Holz, Ziegel und Stein die perfekte Farbe haben – und mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen ist, dass es sich nicht um Naturmaterialien, sondern um Kunststoff handelt. Wenn der Dachstuhl steht, veranstaltet Oswald Binder auch ein Richtfest, berichtet er augenzwinkernd. Mit Wein, einem Mini-Weihnachtsbaum als Richtbaum und manchmal sogar gemeinsam mit Freunden hält er inne und feiert die getane Arbeit. Das Dach allerdings besteht weiterhin aus Holz. Binder raspelt dünne Scheiben ab, Miniatur-Holzschindeln, die er in Feinstarbeit zu einem richtigen Dach zusammenzimmert. Und auch bei Bäumen und weiterem Grün stützt sich der Kirchheimer auf das, was die Natur zu bieten hat: Knorrige Bäume werden durch kleine Äste nachgeahmt und Moos mahlt er mit einer alten Kaffeemühle zu feinen Körnern, die besser in die Miniaturwelt passen.
Dabei zeigt Binder immer wieder sein Gespür für Details, von denen man glaubt, bei jedem Hinsehen ein neues zu entdecken: So hat eine Krippe ein eingestürztes Dach. Kaputte Schindeln, einen gebrochenen Balken und Sägemehl hat er so innerhalb des Gebäudes drapiert, dass man meinen könnte, es habe sich tatsächlich eine kleine Katastrophe ereignet. Und so schafft Binder es, dass seine Weihnachtskrippen auf den Zuschauer wirken, als wären sie echt und ihre Bewohner lebendig.
Zu jeder Krippe hat Oswald Binder ein Buch verfasst. Dort hält er mit Texten und Fotografien die Entstehungsgeschichte der Bauwerke fest. Auch diese Bücher waren Teil der Ausstellung in Owen. Dort konnte er nicht nur das Publikum begeistern, sondern auch seinen alten Lehrmeister Kurt Post begeistern. „Hut ab, was du da geschaffen hast“, sagte dieser zu Oswald Binder und lobte ihn: „Er hat eben ein feines Gespür für solche Sachen.“