Kirchheim
Digitale Barrierefreiheit kann gelingen

Inklusion Damit die Menschen mit einer geistigen Behinderung in der digitalen Gesellschaft nicht abgehängt werden, wird eine neue Medienpädagogik gebraucht. Von Julia Nemetschek-Renz

Schnell die Schwimmbadkarten online bestellen und den QR-Code zum Vorzeigen aufs Handy laden, Fotos an Familie und Freunde schicken, die man gerade so selten sieht, dann kurz checken, ob die Corona-Warn-App immer noch niedriges Risiko anzeigt. Was würden man in der Pandemie ohne die Technik machen? So schnell wie nie zuvor vernetzen sich die Menschen digital, privat und in der Arbeitswelt. Zoom-Meetings, digitaler Unterricht - alles ganz normal heutzutage. Doch was machen all die Menschen, die diese ganze Technik nicht mal so eben bedienen können?

„Es besteht die Gefahr, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung erneut abgehängt werden“, sagt Martin Wirthensohn, Geschäftsführer der Lebenshilfe Kirchheim. Und das wurde selbst bei der Lebenshilfe ganz konkret klar: Im Shutdown musste die Vorstandssitzung per Videokonferenz abgehalten werden. Zum Vorstand gehören zwei Menschen mit Behinderung, und auf die Schnelle war mit ihnen keine Videokonferenz zu organisieren. Sie blieben außen vor, obwohl Inklusion doch oberstes Ziel ist. Problem ist nicht in erster Linie die Technik: „Es ist ja nun nicht damit getan, dass wir Laptops oder Smartphones anschaffen“, sagt Wirthensohn. „Es müssen ja auch Mitarbeiter da sein, die helfen und erklären. Und dann auch bei der ersten Videokonferenz daneben sitzen. Wir müssen begleitend eine neue Medienpädagogik aufbauen.“

Nichts tun wäre ein Rückschritt

Ziel sei es jetzt, Konzepte zu entwickeln, damit Menschen mit Behinderung auch digital teilhaben können - in einer Gesellschaft, die sich immer mehr wandelt. Nichts tun wäre ein Rückschritt in der Inklusion. Die Schulung von Mitarbeitern wird an ers- ter Stelle stehen, aber natürlich muss man die Personal-Ressourcen auch erst einmal haben und finanzieren können. Anne Link, Teamleiterin des ambulant unterstützten Wohnens stimmt zu: „Es gibt seit Corona zum Beispiel eine Diabetiker-Schulung online, die ist für eine Bewohnerin von uns wirklich passend. Aber das kann sie natürlich nicht allein. Und dann saß ich da einige Stunden daneben. Das war leider ein Riesen-Aufwand. Und diese Zeit fehlte mir dann.“

Im ambulant unterstützten Wohnen haben von 33 Bewohnern nur vier kein Smartphone. Alle anderen sind online und nutzen vor allem die Whatsapp-Sprachnachrichten, posten Bilder auf Facebook, telefonieren per Video, vereinbaren Termine mit den Lebenshilfe-Mitarbeitern per Messenger. Aber natürlich geht das nicht ohne Begleitung. „Passwörter zum Beispiel sind schwierig“, erzählt Anne Link. „Wenn man sich die nicht merkt oder notiert, dann weiß die halt niemand mehr. Oder auch die Einkäufe über Amazon. Da kommt dann die Rechnung über E-Mail, aber wenn ich nicht so gut lesen kann, dann ignoriere ich die vielleicht erst mal und die Kosten steigen.“ Wichtig, dass dann jemand da ist, hilft und erklärt. Hilfestellung sind auch Hinweise, dass zum Beispiel das Profilbild eines Facebook-Accounts nicht unbedingt wirklich den Menschen zeigt, mit dem man sich gerade befreundet hat oder warum es keine gute Idee ist, an eine Internet-Bekanntschaft Geld ins Ausland zu schicken. „Es gibt aber auch richtig gute Apps, die Vogelstimmen erkennen oder Blumen, das ist wirklich was Tolles“, sagt Anne Link. „Überhaupt - das Smartphone ist schon sehr praktisch: Unsere Bewohner verabreden sich über ihre Handys und können uns mal schnell zwischendurch was fragen, einfach per Sprachnachricht. Das nutzen sie gerne.“ Digitale Inklusion gelingt also dann, wenn es jemanden gibt, der hilft, der mitbekommt, wenn etwas nicht gut läuft und dann vorbeikommt - analog und ganz persönlich.

 

Info Bei der Bundeszentrale für politische Bildung gibt es unter www.bpb.de Schulungen, die Facebook, Whatsapp oder Youtube in leichter Sprache erklären.