Wenn die Digitalisierung in Deutschland voranschreiten soll, muss damit bereits an der Schule begonnen werden. Deshalb startet die Kirchheimer Freihof-Realschule mit Beginn des kommenden Schuljahrs im September das
Pilotprojekt „Einführung digitaler Endgeräte“. Hinter dem sperrigen Namen verbirgt sich die Tatsache, dass alle künftigen Achtklässler durch Vermittlung der Schule ein Tablet leasen können. Dieses Gerät wird im Unterricht eingesetzt, sodass die Schüler außer an Stift und Papier auch an das Arbeiten mit digitalen Medien herangeführt werden.
Ganz bewusst geht es darum, das Tablet als Arbeitsgerät zu nutzen – und nicht zur Ablenkung durch Spiele, durch digitale Nachrichten oder durch soziale Netzwerke. Diese „privaten“ Nutzungen sind auf den Geräten zwar durchaus möglich, aber nur außerhalb der Schule. „An der Schule sind die Geräte nur mit unserem Schul-WLAN verbunden“, erklärt Schulleiter Marlon Lamour. „Somit sind die Schüler automatisch in unserem Arbeitsprofil angemeldet. Bestimmte Apps und Funktionen sind dann ausgeschaltet.“
Private Leasing-Geräte
Die Teilnahme am Projekt ist freiwillig. Das muss sie auch sein, weil die Eltern für das Leasing-Geräte jeden Monat eine Summe zahlen müssen, die irgendwo zwischen 13 und 15 Euro liegen wird. Andererseits kann das Projekt nur dann gelingen, wenn auch wirklich alle Schüler einer Klasse über ein solches Tablet verfügen. Wer kein Gerät hätte, bliebe von 25 bis 30 Prozent des Unterrichts „ausgesperrt“. Um das zu verhindern, arbeitet die Freihof-Realschule mit der Sozialeinrichtung „Starkes Kirchheim“ zusammen, die dafür sorgt, „dass niemand aufgrund finanzieller Barrieren von den Vorteilen der digitalen Bildung ausgeschlossen wird“.
Von diesen Vorteilen ist Marlon Lamour in jeder Hinsicht überzeugt. Zur Begründung blickt er weit voraus in die Zukunft: „Vier von sieben Kindern, die jetzt eingeschult werden, ergreifen später einmal einen Beruf, den es heute noch gar nicht gibt.“ Nur so viel stehe fest: „Dieser Beruf wird mit der Digitalisierung zu tun haben.“ Deshalb sei es unerlässlich, die notwendigen digitalen Kulturtechniken bereits in der Schule zu vermitteln. Sie sind heutzutage genauso wichtig wie Lesen, Schreiben oder Rechnen.
Wer in der digitalen Arbeitswelt erfolgreich sein soll, muss sich frühzeitig daran gewöhnen – und dafür braucht es die Geräte an der Schule, ab Klasse 8. Marlon Lamour hat dafür ein einprägsames Bild: „Ohne Seil kann man nicht Seilspringen lernen.“
Das Pilotprojekt soll das Lernen „individualisieren und personalisieren“. Das helfe Zeit sparen – Zeit, die die Lehrkräfte nutzen können, um ganz andere Inhalte zu vermitteln. Marlon Lamour spricht die emotionale Ebene an, das „Beziehungslernen“, das Verhalten den Mitmenschen gegenüber. Paradoxerweise soll es gerade die digitale Arbeit an der Schule erleichtern, die möglichen Defizite im Verhalten auszugleichen, für die viele Menschen die Digitalisierung verantwortlich machen.
Was das Projekt nämlich auch vermitteln soll: „Es muss digitale Pausen geben.“ Viele Kinder und Jugendliche verbringen ohnehin schon viel zu viel Zeit am Bildschirm. Jetzt also auch noch in der Schule? Ja und nein: Zum einen wird nicht der gesamte Unterricht über das Tablet laufen. Sonst müssten die Schüler ja gar nicht mehr in die Schule kommen. Und andererseits wird das Tablet vielleicht auch ein Stück weit „entzaubert“, wenn es in der Schule nur fürs Lernen zu gebrauchen ist – mit allem, was dafür an Mühe, Fleiß und Konzentration nötig ist.
Die Ablenkung, die Chat-Nachrichten, Video- und Kommunikationskanäle versprechen, gibt das Tablet zumindest in der Schule nicht her. Natürlich wird die digitale Welt im Unterricht auch thematisiert. Die Gefahren des Abtauchens in rein virtuelle Welten werden nicht kleingeredet. Aber der Umgang damit lässt sich nur durch das tatsächliche Nutzen erlernen. „Medienkompetenz“ ist das entscheidende Stichwort.
Technik dient der Pädagogik
Entstanden ist das Projekt unter anderem aus der Problematik, dass einzelne Schüler schon seit längerer Zeit mit privaten Tablets in der Schule auftauchen. Häufig sind die Geräte ja viel praktischer als ein klassisches Schulheft. „Auf die Frage, wie wir das regeln sollen oder ob das überhaupt erlaubt ist, haben wir schließlich gesagt, dass da was passieren muss, dass wir das am besten selbst in die Hand nehmen“, sagt der Schulleiter. Dass das gelingt, steht für ihn außer Frage: „Die Technik muss der Pädagogik dienen, dann bringt das auch wirklich was.“
Bei einer ersten Elterninformation hat Marlon Lamour nur positive Rückmeldungen bekommen: „Das Modell rechnet sich für die Familien. Nach drei Jahren gehört das Gerät ihnen. So günstig kommen sie sonst nicht an ein Tablet. Außerdem ist in der Summe auch die Versicherung enthalten.“
Künftig sollen alle achten Klassen in dieses Projekt einsteigen. Bis zur zehnten Klasse und zum Abschluss der Realschule bleibt die Digitalisierung ein selbstverständlicher Teil der schulischen Ausbildung – in möglichst allen Fächern. Wer an der Freihof-Realschule die Mittlere Reife ablegt, ist also für die digitale Arbeitswelt von morgen gewappnet.