Kirchheim. Einmal eine andere Theatersituation in der Stadthalle: Auf der Bühne wurstelt ein Requisiteur herum, um die nächste Vorstellung vorzubereiten. Plötzlich merkt er, dass er von einem Publikum beobachtet wird: Was tun? Nach kurzer Irritation überspielt er die Situation, indem er von seiner Tätigkeit als Requisiteur erzählt, vom Rotwein aus Himbeersaft, vom Kompetenzgerangel zwischen Requisite, Bühnentechnik und Kulisse. Und vom maroden Zustand der technischen Einrichtung - welch aktuelle Klage in der Stadthalle. Er steigert sich so in die Erzählungen seiner Theatererfahrungen hinein, dass er sie nachspielt.
Oper, Schauspiel, Ballett - Requisiteur Josef Bieder ist in allen Sparten tätig. Besonders angetan hat es ihm die Oper. Hier wundert sich Bieder - nomen est omen - dass die erstochene Gilda in Verdis Rigoletto noch lange Arien singt.
Das Nachspielen der Szenen gewinnt parodistische Züge. Der sterbende Schwan aus „Schwanensee“, nachgetanzt von einem dickbäuchigen älteren Herrn, das könnte geschmacklos werden. Wird es aber nicht durch die Fähigkeiten des Alleinunterhalters Jens Rainer Kalkmann. Dass er einmal eine Gesang- und Tanzausbildung gemacht hat, kommt zum Tragen. So kann er mit seiner Bewegungsbegabung den undurchsichtigen Dirigierstil von Wilhelm Furtwängler glaubhaft darstellen und mit seiner ausdrucksvollen Stimme auch „ernsthafte“ Gesangseinlagen bieten.
Bieder führt eine Parforcejagd durch das Repertoire eines Dreispartenhauses - allerdings ist meist von Künstlern früherer Epochen die Rede. Ältere Zuschauer waren somit im Vorteil. Das Stück von 1984 könnte eine Aktualisierung vertragen.
Doch gültig bleiben die Gegebenheiten der Theaterwelt: das gespreizte Theatergehabe auf der Bühne, die trickreichen Messer, die Intrigen und das Privatleben neben der Kunst. Die Regie sorgt dafür, dass Bieder nicht nur erzählt. Immer wieder findet Kontakt mit dem Publikum statt, das in Kirchheim sehr lebendig darauf einging bis hin zur Mitwirkung auf der Bühne. Eine Zuschauerin darf nach oben kommen und bei einer Szene aus Carl Millöckers Operette „Der Bettelstudent“ mit einem Fächer gegen den „Kuss auf die Schulter“ des Schweinezüchters einen „Schlag ins Gesicht“ geben.
Am Schluss muss der Requisiteur erfahren, dass er entlassen ist. Im Gegensatz zu ihm verließen die Zuschauer in heiterer Stimmung die Stadthalle. Ulrich Staehle