Die Szene ist bezeichnend: Ein Blick genügt und Christoph Krämer verlässt die kleine Delegation, um sich um eine Seniorin zu kümmern, die mit ihrem Rollator etwas hilflos den Gang entlang kommt. Er spricht sie ruhig an, nimmt sie vorsichtig am Arm und begleitet sie zum Aufzug und in ihr Zimmer. Christoph Krämer ist einer von zwei FSJlern (Freiwilliges Soziales Jahr) im Kirchheimer Seniorenzentrum St. Hedwig.
Renata Alt, FDP-Bundestagsabgeordnete des hiesigen Wahlkreises, hat sich an diesem Morgen vor Ort ein Bild über die Arbeit der FSJler gemacht. Eingeladen wurde sie von Petra Honikel, Vorsitzende des Landesarbeitskreises Freiwilliges Soziales Jahr in Baden-Württemberg und Geschäftsführerin des Freiwilligendienstes in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Der Grund: Die Mittel für den Freiwilligendienst sollen gekürzt werden. „Für dieses Jahr ist es geglückt, sie noch auf dem gleichen Niveau zu halten“, freut sich Petra Honikel, fürchtet jedoch, dass es sich dabei nur um einen Aufschub handelt. Deshalb hat sie sich an die Politik gewendet, um auf dieses Damoklesschwert aufmerksam zu machen. „Es wäre gut, wenn der Bund auf den Freiwilligendienst mehr aufmerksam macht und uns mehr Gelder zur Verfügung stellen könnte“, fordert die Geschäftsführerin. Sie kommt auch gleich mit einem Beispiel. 18-Jährige bekommen gleich zwei Mal Post von der Bundeswehr, Werbebroschüre inklusive. „Das könnte man doch auch für die sozialen Freiwilligendienste machen. So könnte man die jungen Menschen in der Breite darauf aufmerksam machen, denn wir können nicht alle Schulen abklappern“, sagt Petra Honikel.
Die zwei FSJler Christoph Krämer und Lukas Sigler bereichern den Alltag der Bewohner in St. Hedwig. Nach dem Abi im vergangenen Jahr wusste Lukas Sigler nicht so recht, was er studieren soll - oder doch lieber eine Ausbildung machen will. Ein Weltenbummler-Jahr kam nicht in Frage, deshalb entschied er sich für das FSJ. „Das ging einfach und schnell“, sagt er. Viel hat er in der kurzen Zeit gelernt. Früher hatte er Schwierigkeit mit fremden Menschen. „Dann musste ich hier 30 fremde Bewohner betreuen, das fiel mir am Anfang schon schwer. Aber nach zwei Wochen ging‘s - und jetzt kann ich mit fremden Menschen einfach so ein Gespräch anfangen. Neulich musste ich an der Bushaltestelle lange warten. Früher wäre ich da nur still rumgestanden, jetzt habe ich die Leute angesprochen“, erzählt Lukas Sigler. Er wurde im FSJ-Seminarkurs auch zum stellvertretenden Sprecher gewählt, was ihn immer noch verwundert.
Über Bekannte hat Christoph Krämer vom Freiwilligendienst erfahren. 2016 nach der Realschule hat er sein erstes FSJ absolviert, dann die zweijährige Ausbildung zum Alltagsbetreuer gemacht. Jetzt ist er in der zweiten Runde FSJ, weil er noch in der Findungsphase ist, wie es beruflich weitergehen soll. Vom Gehalt des Alltagsbetreuers kann er nicht leben. Das ärgert Simon Unrath, Leiter des Seniorenzentrums St. Hedwig, gewaltig. „Er konkurriert damit mit Leuten, die vom Arbeitsamt eine Kurzqualifikation bezahlt bekommen haben, wenn sie arbeitslos geworden sind. Weshalb macht man sowas zu einem Ausbildungsberuf? Das empfinde ich als Irreführung“, spricht er Klartext. Nichtsdestotrotz liebt Christoph Krämer die Arbeit mit den Bewohnern, er lebt richtig auf bei seiner Tätigkeit. „Wir FSJler können uns als junge Menschen für die Bewohner einbringen, wir sind für sie was anderes als die Pflegepersonal. Wir sind für die Senioren auf einer anderen Ebene da“, sagt der 19-Jährige.
Inzwischen hat Lukas Sigler die Veeh-Harfe geholt und spielt einer Bewohnerin ein Lied vor. Die sanften Klänge ziehen auch die Gäste und Renata Alt in ihren Bann. Das Spielen auf dem besonderen Instrument hat sich der FSJler selbst beigebracht. Es gibt spezielle Noten, die unter die Saiten gelegt, und entsprechend gezupft werden können. Das ist jedoch nicht die einzige Fähigkeit, die sich der 20-Jährige in St. Hedwig „antrainiert“ hat. Als er gemerkt hat, wie gerne manche Bewohner Schach spielen würden, es ihnen aber an Gegnern fehlt, ließ er sich die Regeln beibringen. So ist schon manche Partie zur Freude beider Beteiligten am Tisch entstanden. Doch auch hier gilt: „Reden ist das Wichtigste für unsere Bewohner. Was man macht, ist eher nebensächlich“, sagt Lukas Sigler.