Kirchheim
Ein Handy-Verbot ist auch keine Lösung

Beratung Smartphones sorgen in vielen Familien für Streit. In einem Online-Vortrag haben Eltern zum Teil unerwartete Impulse zum Medienkonsum ihrer Sprösslinge erhalten. Von Bianca Lütz-Holoch

Mit den Klassenkameraden chatten und Musik hören, Social-Media-Accounts bespielen und Videos schauen, zocken und Stundenpläne checken: Die Liste der Aktivitäten, für die Jugendliche ihr Handy nutzen, ist lang. Entsprechend viel Zeit verbringen Heranwachsende mit dem Smartphone in der Hand – ein Streitpunkt in vielen Familien.

 

„Mediennutzungsverträge sind ab einem bestimmten Alter nicht mehr angesagt.
Karolina Prinz
Präventionsbeauftragte im Landkreis Esslingen

 

Genau darum ging es im Online-Vortrag „So lange am Handy“, zu dem das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Eltern aus dem Kreis Esslingen eingeladen hatten. Über 300 Familien wählten sich von zu Hause ein und folgten der Veranstaltung, teilweise auch zusammen mit ihren Kindern.

Was die Zuhörer an dem Abend nicht bekommen: Vorgaben zu Handyzeiten, Handlungsanweisungen und mahnende Worte. Stattdessen schildern Jugendliche aus dem Kreis, welche Bedeutung das Handy für sie hat und was sie sich von ihren Eltern in Bezug darauf wünschen. Die Präventionsbeauftragten im Landkreis Esslingen, Karolina Prinz und Martin Silber, sowie Laura Laschet vom Kreismedienzentrum liefern Zahlen, psychologische Hintergründe und jede Menge Impulse. Und sie richten einen Appell an die Eltern: „Bitte ergreifen Sie nicht einfach Maßnahmen, ohne vorher mit dem Kind ins Gespräch gegangen zu sein“, warnt Karolina Prinz davor, leichtfertig Handy-Verbote auszusprechen.

Genau hinschauen

Wenn der Nachwuchs jedoch allzu viel Zeit am Smartphone verbringt, gilt es genauer hinzuschauen. In der Regel ist das nämlich ein Ausdruck dessen, dass etwas nicht stimmt. „Vielleicht fehlen Alternativen oder einfach nur Ideen“, so Prinz. Eventuell steckt aber auch ein tatsächliches Problem dahinter. „Übermäßige Handynutzung kann eine Strategie sein, Grundbedürfnisse zu sättigen.“ Einem wissenschaftlichen Modell zufolge sind das: eingebunden, eigenständig und erfolgreich sein.

Damit sich Kinder und Jugendliche eingebunden fühlen, sind Gespräche in der Familie wichtig – und Eltern, die echtes Interesse an dem haben, was das Kind braucht und denkt. Jugendlichen zu Eigenständigkeit zu verhelfen, bedeutet: „So viel Vertrauen und Freiheit wie möglich geben und so viel Kontrolle und Struktur wie nötig“, fasst es Karolina Prinz zusammen. Damit Schüler die Überzeugung gewinnen, erfolgreich zu sein, müssen sie keineswegs nur Einser und Zweier schreiben. „Es ist wichtig, abseits der Noten zu schauen, was das Kind gut kann.“ Auch – ernst gemeintes – Lob spielt dabei eine große Rolle. Kurz: „Psychische Gesundheit ist sehr wichtig im Mediennutzungs-Kontext“, so Karolina Prinz.

Zeitliche Angaben, wie viel Handynutzung pro Tag okay ist, wollen die Referentinnen nicht geben. „Wir sind der Meinung, dass jede Familie sehr individuell ist und für sich selbst herausfinden muss, was passt“, betont Laura Laschet. Sinnvoll ist es in dem Zusammenhang, auch darauf zu achten, wie das Verhältnis zwischen Medienkonsum und anderen Hobbys, Sport und Treffen mit Freunden ist. 

Ziel: Eigenverantwortung

Während es bei jüngeren Kindern noch sinnvoll sein kann, Verträge über die Handynutzungszeit zu vereinbaren oder Zeit-Gutscheine auszuhändigen, raten die Präventionsbeauftragten bei Jugendlichen davon ab. „Mediennutzungsverträge sind ab einem bestimmten Alter nicht mehr angesagt“, weiß Karolina Prinz. Es sei eine Fehleinschätzung, dass solche Vereinbarungen Konflikte lösen. „Unserer Erfahrung nach schafft man damit andere Probleme.“ Ziel sei es vielmehr, Jugendlichen mit steigendem Alter immer mehr Eigenverantwortung für ihren Medienkonsum zu übertragen.

Gibt es Streit ums Handy, sollten Eltern sich selbst hinterfragen – etwa was die eigene Mediennutzung angeht, aber auch, ob sie sich eventuell von negativen Glaubenssätzen leiten lassen. „Man sollte unbedingt versuchen zu verstehen, was Medien dem Kind geben“, sagt Laura Laschet. „Wenn es gelingt, sich in den Sohn oder die Tochter hineinzuversetzen, dann stärkt das die Beziehung.“

Ganz zentral: Vertrauen. „Das wird auch mal gebrochen“, weiß Laura Laschet. „Man sollte aber trotzdem offen bleiben und versuchen, neue Wege und Lösungen zu finden – und zwar immer durch Kommunikation auf Augenhöhe.“ Wenig hilfreich sei es dagegen, Kinder und Jugendliche abzuwerten. Den Medienkonsum senke das nicht. „Dafür steigt die Gefahr, dass das Kind bei dem Thema einfach lügt.“

 

Wie Jugendliche ihr Handy nutzen

Die JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest gibt Einblicke in den Umgang 12- bis 19-Jähriger mit Medien. Ihr zufolge liegt die tägliche Mediennutzung der Jugendlichen unter der Woche nach eigener Einschätzung bei rund vier Stunden.

Die Nase vorn hat laut der Studie das Handy, gefolgt vom Tablet. Die meiste Zeit verbringen die jungen Leute mit Internet, Musik hören und Online-Videos. Die wichtigsten Apps sind WhatsApp, Instagram, YouTube und TikTok.

Infos zu Nutzungszeiten sowie Handyregeln für Kinder und Jugendliche erhalten Eltern auf der Homepage www.klicksafe.de.

Bei Verdacht auf Mediensucht helfen verschiedene Beratungsstellen im Kreis weiter, unter anderen die Psychologische Beratungsstelle Stiftung Tragwerk in Kirchheim unter der Telefonnummer 070 21/48 55 90.

Das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) ist eine Behörde des Landes Baden-Württemberg und hat sechs Regionalstellen. Die Präventionsbeauftragten des ZSL beraten Schulen und Lehrkräfte und nehmen Themen zur Förderung der psychosozialen Gesundheit von Schülerinnen und Schülern in den Blick, wie etwa Mobbing, Gewalt und Sucht.