Thomas Scheytt gilt als einer der besten zeitgenössischen Boogie- und Blues-Pianisten. In seinem Spiel verbindet der 63-jährige Freiburger hohes pianistisches Können mit einer tief empfundenen Ausdrucksvielfalt. Mit seiner Matinee in der herrlichen Kulisse des ausverkauften Saals des Kirchheimer Schlosses bescherte er dem Publikum die musikalische Krönung des sonnigen Sonntagmorgens.
Sein erstes Stück nennt er mit einem Augenzwinkern „Guten Morgen, liebe Freunde, hier im Schloss Kirchheim“. Entsprechend entspannt, mit angenehm weichen Klängen und mäßigem Tempo spielt er sich sofort in die Herzen der Zuhörer.
In seiner sympathischen lockeren Moderation kündigt Scheytt eine Mischung von eigenen Stücken und traditionellen Kompositionen aus den 1920er- und 1930er-Jahren an und gibt hilfreiche Hinweise zum Verständnis der Musik: „Boogie-Woogie hat in seiner Entstehung viel zu tun mit Eisenbahnen, er erinnert an Hammerschläge der Gleisarbeiter oder an die Geräusche während der Fahrt.“ Dies verdeutlicht er in seinem „Hell Valley Stomp“ – dem Höllental-Stomp – und erwähnt, dass er bei häufigen Zugfahrten von Freiburg in den Schwarzwald zu dieser Komposition inspiriert wurde. Man hört im Flügel das beschwerliche Anfahren der Lok, das Drehen der Räder, das Hämmern auf den Gleisen, und im schnellen Tempo kann man sich gut die „vorbeifliegenden“ Tannenbäume vorstellen.
Der Hauch von New Orleans durchströmt den Saal, als Thomas Scheytt seinen „Flying Finger Blues“ in die Tasten hämmert. Da gibt’s kein Halten mehr. Begeisterungsstürme branden auf und rhythmisches Klatschen der Zuhörer begleitet die wilden Tonketten und kreativen Improvisationen. Lebensfreude pur – es wird nie langweilig. Virtuos wechselt der Pianist im „Fifty Dollar Boogie Woogie“ zwischen Akkord-Kaskaden und flirrenden Tongirlanden in hoher Lage über dem brummelnden sonoren Klanggrund.
„Der Blues ist wie ein guter Freund für mich“, erwähnt der Künstler bei der Anmoderation des „Suite Case Blues“ aus dem Jahr 1928. Thomas Scheytt geht eine Symbiose ein mit seinem Instrument, zum Kirchheimer Flügel sagt er: „Er hat Charme.“ Der Pianist beseelt die Musik stets mit einem An- und Abschwellen der Lautstärke, wie in der Ragtime-Nummer „You’ve got a Friend in me“ von Randy Newman, wo sehr stiltypisch die „Stride-Piano-Technik“ mit dem typischen Wechsel von Basston und Akkord zum Einsatz kommt.
Der Pfarrersohn Scheytt erläutert, dass er seit seiner Jugend gerne Kirchenorgel spielt, und macht den Bezug zur Orgel deutlich in seinem Stück „Out of the Dark“, der musikalischen Beschreibung eines Sonnenaufgangs. Der Dunkelheit im Bassregister folgt ein „allmähliches Werden“, anfangs noch dünn im Piano, der Tag bricht an, die Musik wird immer heller, bewegter, voller und mündet im Fortissimo – wie könnte es anders sein – in einem groovigen Blues, der überraschend zart ausklingt.
Spannende Arrangements
Die Soulnummer „Georgia on my Mind“ – bekannt in der Version von Ray Charles – hat Scheytt in ein interessantes Arrangement für Klavier umgeschrieben. Beginnend wie in einem modernen Klavierkonzert kombiniert er die farbigen, monoton pulsierenden Jazzakkorde mit schnell huschenden Skalen der rechten Hand und beeindruckt dabei mit einer breiten Palette der Gefühle – von Zärtlichkeit bis zu Ekstase. Letztere scheint auch für die Befindlichkeit der Zuhörerinnen und Zuhörer zuzutreffen, die mit frenetischem Applaus den Künstler zurück ans Klavier holen. „Heute ist Sonntag, also Gospeltag“, kündigt Thomas Scheytt seine Zugabe an und fordert das Publikum beim Gospel „Put your Hand“ zum lauten Mitsingen auf, was einen großartigen Schlusseffekt erzeugt. Baldiges Wiedersehen mit dem Ausnahmekünstler wäre wünschenswert. Vielleicht bringt er dann sein international bekanntes Trio „Boogie Connection“ mit.