Eintritt mit Wow-Effekt. Statt zur Haustür bittet Timo Scheurle durch die Terrassentür ins Haus – und schon ist man in einer anderen Welt. Jagdtrophäen hängen an der Wand, sie stammen von seinem Großvater und bleiben da auch, schließlich lebt Timo Scheurle im großelterlichen Haus. In einem großen Aquarium schwimmen bunte Fische, unweit im Terrarium daneben muss man dagegen die Bewohner erst mal suchen. Ein kleiner Teil von „Terra-Eck“, seiner Firma für Reptilien, ist Bestandteil des Wohnzimmers.
Dabei geht es heute um etwas ganz anderes: um Timos Cigarbox-Guitars. Der Name ist Programm, denn Timo Scheurle bringt „stinknormale“ hölzerne Zigarrenboxen zum Klingen und die Menschen in Nullkommanix zum Grooven – mit nur einer Saite auf einer Latte des einstigen Hühnerstalls und einem abgeschlagenen Flaschenhals. „Ich mag den dreckigen Sound“, sagt er grinsend.

Musikalisch sozialisiert wurde er über seine Mutter, die Blues und Stones gehört hat. „Bono und U2 waren meine Vorbilder“, erzählt der Mann mit der spannenden Biografie. Nach dem Realschulabschluss schloss er eine Ausbildung zum Speditionskaufmann ab, ehe er das Abi am WG in Kirchheim machte. Es folgte der Zivildienst in einer Kirchheimer Kirchengemeinde, ehe er zum Studium nach Tübingen ging. Die Fächer: Soziologie, Politik und Pädagogik, damals noch auf Magister.
Schon in der Schule hat er in Bands gespielt, um dann während des Studiums mit der vierköpfigen „Reisegruppe Fischer“ durchzustarten. „Wir bekamen einen Vertrag bei Roadrunner Records für drei Platten und waren weltweit unterwegs“, erzählt Timo Scheurle. Mit dem Produzent Oliver Zülch arbeiteten sie zusammen, der unter anderem auch für „Die Ärzte“ aktiv war. „Es war Deutsch-Rock mit Indietouch und direkten Texten, vergleichbar mit ,Wir sind Helden‘. Drei Vollidioten von uns haben deshalb das Studium ausgesetzt, darunter ich“, wird Timo Scheurle deutlich. Der Bruch kam, als die Plattenfirma von Warner Music gekauft wurde. „Wir wurden auf Eis gelegt, weil wir die Konkurrenz zu ,Wir sind Helden‘ waren, die schon zu Warner Music gehört haben“, sagt Timo Scheurle. Da nutzte es auch nichts, dass sie im gleichen Studio wie „Juli“ waren. „Plötzlich wollte uns niemand mehr anfassen. Alles lag am Boden – und es gab auch keine Magisterstudiengänge mehr.“

Es folgte der Weg zum Quereinsteiger als Erzieher mit verkürzter Ausbildung. Rund fünf Jahre hat er in diesem Beruf gearbeitet. In dieser Zeit entdeckte er mit seiner Frau Melanie Scheurle-Nitschmann die Liebe zu exotischen Tieren. „Wir hatten zwei Landschildkröten, irgendwann die erste Königspython, dann zehn Schlangen. Die Faszination war groß. Und dann hatten wir die Idee, dass wir mit unserem Wissen einen Laden aufmachen können“, erzählt er vom Beginn von „Terra-Eck“ in der umgebauten Garage.
Aber irgendwie fehlte ihm die Musik. Mit etwa 13 Jahren hatte er seine erste Gitarre, erstanden im Musikhaus Kielnecker in Kirchheim. „Mit meiner Überei habe ich alle genervt“, erzählt Timo Scheurle. U2 und Britpop, insbesondere Oasis, waren seine Favoriten. Schließlich kam der Deutsch-Rock dazu, mitsamt der „Reisegruppe Fischer“. „Das war ganz weit weg von dem, was ich in der Kindheit gehört habe – und jetzt bin ich wieder zum Blues zurückgekehrt“, sagt er strahlend.
Mit dem wiederentdeckten Plattenspieler seiner Mutter kamen Kindheitserinnerungen. „Und dann ging das da los“, sagt Timo Scheurle und zeigt mit einer großen Handbewegung in Richtung seiner selbst gebauten Cigarbox-Guitars. Alexa musste Bluesinterpreten rauf und runter spielen, auf Youtube schaute er sich Videos an. Der „dreckige alte Bluessound“ hat es ihm angetan. „Ich habe mich irgendwann gefragt, wo kommt der Blues her? Mit was haben die gespielt?“

Seine Recherche begann. „Um 1880 wollten Sklaven in Amerika selbst Musik machen. Weil sie kein Geld hatten, nahmen sie eine Zigarrenbox, zogen einen Besenstiel oder Weidezaunpfosten durch und bespannten ihn mit einem Drahtseil. Dank eines abgetrennten Flaschenhalses gab es unterschiedliche Töne. Das war die Urform“, erklärt Timo Scheurle. Eine Schraube diente als Sattel. „Mit drei Saiten kann ich alles spielen, was ich will. Es braucht keine sechs. Nach wenigen Tönen klingt es nach Cowboy-Feeling“, sagt der Musiker. Zugleich sind seine Cigarbox-Guitars auch Rhythmusinstrument, man kann perkussiv mit ihnen arbeiten.
Es war jedoch „ein ewig langer Weg“, bis die erste seiner Cigarbox-Guitars so klang, wie er sich das vorstellte. „Es ist doch was anderes als eine sechssaitige Gitarre. Man muss umdenken.“ Seit einem halben Jahr hat es ihn mit seinem Gitarrenbau „richtig gepackt“. Wie lang muss die Gitarre, wie die Bundabstände sein? Trial and Error – Versuch und Irrtum – waren seine Begleiter. „Der Abstand zwischen Sattel und Brücke ist das Elementare. Trotz Internet mit den Bundrechnern ist es ein langes Ausprobieren – und es hat nicht bei jeder Gitarre funktioniert“, beschreibt er seine Versuchsphase. Inzwischen hat er rund 25 Cigarbox-Guitars. „Eines haben sie alle gemeinsam: Sie klingen ultrafett. Ich liebe sie alle. Wir sind hier bei der akustischen Gitarre. Es ist unglaublich, wie die sich durchsetzt mit ihrem speziellen Klang“, ist er begeistert.

„Ich kann es bei jeder Gitarre kaum erwarten, die Saiten aufzuziehen, damit ich weiß, wie sie klingt“, sagt der Musiker. Mittlerweile traut sich Timo Scheurle nicht mehr in der Zigarrenladen, um nach weiteren leeren Boxen zu fragen, um ein neues Exemplar bauen zu können. „Ich sollte mich vielleicht jetzt mehr aufs Üben konzentrieren – aber es macht einfach unglaublich Spaß, diese Instrumente zu bauen“, sagt der Musiker. Im Laufe des Gesprächs kommen Santiago, eine Nacktkatze, und sein befellter Kollege Asterix vorbei und holen sich von Timo Scheurle ihre Streicheleinheiten ab – beobachtet von Fred, dem Pantherchamäleon, der es sich bestens getarnt hoch oben am Fenster in einer verzweigten Blattpflanze gemütlich gemacht und mit seinen beweglichen Augen alles bestens im Blick hat.