Kirchheim
Ein Hoch auf Karl Marx

Konzert Eine musikalisch-philosophische Revue zum 200. Geburtstag des kritischen Denkers in der Bastion.

Kirchheim. Passend für den Club Bastion, zum 50-jährigen Bestehen ein Programm ins uralte Gemäuer zu holen, das sich mit Karl Marx befasst, dessen 200. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wurde. Eine „intime“ Veranstaltung, deren Charakter man mit einem Augenzwinkern schon als konspirativ ansehen konnte. Unwillkürlich erinnerte man sich an vergangene Zeiten, als die Marxschen Theorien in der Bastion zuweilen hitzköpfig diskutiert wurden.

Jahrzehnte später erfreute sich ein sichtlich entspannteres Publikum an einer musikalisch-philosophischen Revue, in deren Mittelpunkt die ökonomisch-philosophischen Manuskripte von Karl Marx standen. Musikalisch umrahmt wurden die Texte des jungen Marx von Robert Bärwald: mit zeitgenössischen Kompositionen von Liszt und Chopin. Als Liedbegleiter hat sich der Pianist einen Namen gemacht, er ist Dozent an der Musikhochschule Stuttgart und war Gast bei der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie, der Mozart-Gesellschaft Stuttgart und den Lunchtime Recitals in London. Der Zweite im Bunde dieser ganz speziellen „Revoluzzer“-Revue ist Markus Raab. Songs von Brecht aus der Dreigroschenoper pointiert vortragend ist er mit unterschiedlichen Bühnenprogrammen unterwegs. Raab, im Hauptberuf Kultur- und Sozialbürgermeister der Stadt Esslingen, ist nicht nur bekannt durch sein Duo mit Stefan Hiss sowie als Frontmann von „The John Wayne Naked Appreciation Society“, sondern auch als Westernexperte und seiner These, „dass der Spätwestern Sam Peckinpahs auch eine radikale Kapitalismuskritik beinhaltet“. 1844, im Pariser Exil, verfasste Marx die ökonomisch-philosophischen Manuskripte. Die preußische Zensur hatte Marx zum Gang ins Exil genötigt, nachdem er als Redakteur der oppositionellen Rheinischen Zeitung bei der Staatsmacht angeeckt war. Marx ging freiwillig, um einem Haftbefehl zuvorzukommen, dessen versuchte Vollstreckung ihn allerdings ein Jahr später nach Brüssel und schließlich nach London fliehen ließ. Die Pariser Manuskripte enthalten bereits die Hauptthesen und sind damit die Schlüsselschrift für sein weiteres Schaffen - das Kapital.

Raab vortragend: „Die Arbeit produziert Wunderwerke für die Reichen, aber sie produziert Entblößung für den Arbeiter. Sie produziert Paläste, aber Höhlen für den Arbeiter. Sie produziert Schönheit, aber Verkrüppelung für den Arbeiter. Sie ersetzt die Arbeit durch Maschinen, aber sie wirft einen Teil der Arbeiter zu einer barbarischen Arbeit zurück und macht den anderen Teil zur Maschine. Sie produziert Geist, aber sie produziert Blödsinn, Kretinismus für den Arbeiter.“ Die Moritat von Mackie Messer, gesungen von Raab, „und der Haifisch, der hat Zähne . . .“ könnte nicht besser in den heutigen global entfesselten Kapitalismus passen, Raubtierkapitalismus, der eine nie da gewesene Konzentration von Reichtum bewirkt. Die Gedanken von Marx zeugen von einer ungebrochenen Aktualität. Im Blick auf das London seiner Zeit meinte Marx: „dass der eigentliche Reichtum des Kapitalisten nicht im Besitz der herrschaftlichen Villen bestehe, sondern darin, dass er profitmaximierend die Vermietkonditionen seiner Wohnhöhlen für die arbeitende Bevölkerung festlege.“ Zwar leben wir nicht mehr in Wohnhöhlen, dafür ist bezahlbarer Wohnraum nicht nur in London, sondern auch im heutigen Kirchheim knapp. Brigitte Gerstenberger