Es war ein Darbietungs-Feuerwerk allererster Güte: Das Fest zum 50-jährigen Bestehen der Konrad-Widerholt-Schule geriet zum Festival. Der offiziell-sperrige Name dieser besonderen Schule in Kirchheim lautet Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) mit Förderschwerpunkt Lernen. Unter dem Motto „Mit Kopf, Herz und Hand“ zeigten die Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer samt ihren Projektpartnern mit einem bunten Programm, was sie so alles drauf haben – und stellten ihr pädagogisches Konzept vor.
Tosender Applaus begleitete die Trommelgruppe unter Leitung von Thorsten Wiemann, als sie in der Konrad-Widerholt-Halle auf die Bühne schritten. Nach ihrer Darbietung waren alle auf das Kommende eingestimmt. Konrektorin Monika Bosler-Keppler hatte kaum die Gäste begrüßt, als sie das Mikrofon an Tara Petto und Simon Lux, Schülersprecherin und -sprecher, übergab. Sie stellten ihre Arbeit vor. Unter anderem gibt es dank der Initiative der SMV eine Graffiti-Wand, auf die alles gesprüht werden darf – außer Beleidigungen und „wüste Sachen“.
Dann trat Schulleiterin Susanne Schöllkopf ans Rednerpult und hielt ein flammendes Plädoyer für ihre Schulart. Vor allem der Respekt und die Zuneigung zu ihren Schülerinnen und Schülern war aus jedem Wort herauszuhören, ebenso der Kampf, diese Schulart zu erhalten. „Unsere Schulart wird kontrovers diskutiert. Aber wir sind absolut von unserer Schule und unserem pädagogischen Konzept überzeugt. Unsere Schule ist eine Chance für alle jene, die an den normalen Schulen untergehen. Wir haben ein lebendiges, anderes Setting. Bei uns führt niemand ein Schattendasein“, erklärte sie mit Verve.
Ein Interview mit Eltern zeigte deren Sicht auf die Schule. Sie gaben teils persönliche Statements ab. Der Tenor: Trotz schweren Anfangs nach dem Schulwechsel lernten ihre Kinder die Atmosphäre schnell schätzen. Schulrätin Waltraud Schreiber lobte den hohen pädagogischen Anspruch, der in der Kirchheimer Schule herrscht – trotz harter Rahmenbedingungen – und brachte ihre „absolute Hochachtung“ für die fundierte Arbeit zum Ausdruck: „Ich merke die Qualität an den Rückmeldungen der Eltern.“
Schuldekanin Dorothee Moser sprach von einem behüteten Ort für die Schülerinnen und Schüler. „Jedes Mal bin ich beeindruckt von der Menschlichkeit und Feinfühligkeit der Lehrerinnen und Lehrer. Von diesem SBBZ mit seinem ganzheitlichen, kreativen und pädagogischen Konzept können alle anderen Schularten lernen. Jedes Kind ist hier in seiner Art willkommen. Da steckt eine Vision dahinter“, sagte sie.
Die Aufforderung der Schulleiterin an ihre Schülerinnen und Schüler war eindeutig: „Spitzt die Ohren und hört gut zu!“ Sie unterhielt sich mit dem ehemaligen Schüler Jafar Koch, der vor fünf Jahren seinen Abschluss im SBBZ gemacht hat. „Ich war schwierig und ziemlich anstrengend, ging mit dem Kopf durch die Wand. Die Lehrer waren sehr geduldig mit mir“, sagte er im Rückblick. Stigmatisiert sei er wegen der Schule aber nie gewesen. „Meine Brüder waren immer da und meine Freunde haben mich immer akzeptiert. Das sind jetzt alles Master-Studenten, das funktioniert“, erzählt er selbstbewusst. Nach dem SBBZ besuchte der heute 25-Jährige die Käthe-Kollwitz-Schule in Esslingen und legte seinen Hauptschulabschluss mit der Durchschnittnote 1,5 ab. Dank der älteren Brüder hatte er schon immer großes Interesse an Autos, weshalb er in einem Karosseriebetrieb in die Lehre ging. Als die zu Ende war, folgte eine einjährige Weiterbildung an der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule in Nürtingen mit der Abschlussnote 2,5. Heute hat er eine gute Position bei Mercedes. „Gebt eure Kinder nicht auf“, riet Jafar Koch den Eltern. Und zu den Kids wurde er deutlich: „Sport machen ist wichtig, ich mach fünfmal die Woche Sport – ok, das ist vielleicht ein bisschen viel. Aber ich habe 47 Kilo abgenommen und darauf bin ich richtig stolz. Und ausgewogene Ernährung ist auch echt wichtig.“
Die Kleinsten gaben zu Louis Armstrongs „Wonderful World“ eine Aufführung mit selbst gemalten Plakaten zum Besten, und für die musikalische Unterhaltung zwischendurch sorgten der Chor und die Band-Kids mit Sänger Luca Opifanti und Henry Kasper am Keyboard. Schließlich sorgte die Trommelgruppe für den „Rausschmiss“ aus der Halle und gab damit den Startschuss für den Ständerling im Höfle. Auch hier wieder eine Besonderheit: Die leckeren Salate, Snacks, Brote und Nachtische wurden allesamt von den Schülerinnen und Schülern mit Erwachsenenteam gekocht, gebacken und gerührt.
Ein spannendes Ballettprojekt
Monika Bosler-Keppler stellte ein besonderes Projekt der Schule vor, an dem sie mit ihrer Klasse beteiligt war: „Keep mooving“ mit dem „Stuttgarter Ballett JUNG+“. Nach mehrmonatigem Training mit Marieke Lieber und Adrian Turner in Kirchheim, gab es eine Intensivwoche in der John Cranko Schule in Stuttgart mit einer Realschule aus Herrenberg. „Wir wurden wie Profis behandelt. Es gab Lichttechniker, Schneiderinnen und viele andere. Die Woche war total aufregend und spannend. Höhepunkt war die Aufführung“, sagte sie und zeigte sich begeistert von den beiden Ballett-Profis: „Sie haben die Schüler in ihrem Innersten erreicht. So konnten sie sich auf die für sie eher fremde Welt Musik und Bewegung einlassen. Es war nicht immer leicht und entspannt, aber wir sind unheimlich stolz drauf, was wir geleistet haben.“
Die Zuschauer erhielten eine kleine Kostprobe, wie die Proben verliefen. Marieke Lieber und Adrian Turner waren eigens aus Stuttgart gekommen und zeigten beeindruckend, wie sie sich auf die Aufführung vorbereitet haben. „Wir haben 52 Menschen auf der Bühne. Es geht nicht um Perfektion. Jeder darf Fehler machen – aber nicht zeigen, sondern kompetent dastehen. Es geht um Haltung, was lerne ich“, sagte Adrian Turner, der durch die Tanzvorstellung führte. Die Choreografie ist selbst erarbeitet. „Jeder einzelne Schritt kam von dieser Bande“, erklärte er augenzwinkernd. Seine und Mariekes Arbeit hätten viel mit Offenheit zu tun, nur wer sich öffne, komme weiter. „Ich bin mehr als begeistert von den Jungs und Mädels. Die haben Chancen und gehen ihren Weg – und durchs Leben tanzen ist auch keine schlechte Idee“, sagte er, ehe die Kids unter großem Beifall die Bühne verließen. ih
Eine besondere Einrichtung
Persönlich überzeugt ist Tanja Breckel, Erste Vorsitzende des Fördervereins der KW-Schule, dass es extrem wichtig ist, die Schule in der bisherigen Form zu erhalten. „Hier gilt nicht der gesellschaftlich vorgegebene Grundsatz höher, schneller, weiter – sondern achtsamer, langsamer, menschlicher“, sagte sie. Durch die besondere Wertschätzung in dieser Schulform würden die Kinder in ihrer individuellen Entwicklung liebevoll begleitet und gefördert. „Nicht das Ziel, sondern der Weg dorthin steht im Fokus sowie die gemeinsame Freude über erreichte Fortschritte.“ Alle Verantwortlichen an der Schule, einschließlich Lernbegleiterinnen, würden mit hohem Anspruch, Herzblut und dem Blick aufs Wesentliche den Schulalltag gestalten. So werde den Kindern eine Chance gegeben, sich in einem positiven, geschützten Umfeld nach ihren Fähigkeiten zu entwickeln und zu lernen. Sie bedauert daher, dass es diese Schulform nie leicht gehabt hat. „Leider kämpft sie bis heute mit ihrem Image und derzeit rückläufigen Schülerzahlen vor allem in den Eingangsklassen“, erklärte Tanja Breckel. ih