Nahverkehr
Ein Kindheitstraum bekommt Räder

Mit acht Jahren wollte sie Busfahrerin werden – mit 37 sitzt sie am Steuer. Özlem Akkaya ist der Beweis, dass sich Beharrlichkeit auch in einer von Männern beherrschten Welt auszahlt.

Özlem Akkaya ist vom neuen Jahr an im Linienverkehr in Kirchheim und Umgebung unterwegs. Foto: Carsten Riedl

Wenn ein achtjähriges türkisches Mädchen von seinem Wunschberuf träumt, ist das nichts Außergewöhnliches. Wenn dieses Mädchen Busfahrerin werden möchte, ist dies zumindest bemerkenswert. Wenn sie als junge Frau mit 37 Jahren sich diesen Kindheitstraum erfüllt, dann ist das eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden.

Ob es dieses Gefühl der Macht ist, ein so gewaltiges Fahrzeug zu beherrschen oder einfach die Lust, Verantwortung zu tragen, kann Özlem Akkaya selbst nicht klar beantworten. Fest steht: Wie man einen Personenbus sicher durch dichten Verkehr steuert, hat sie immer schon fasziniert. Schon als kleines Mädchen, das in Kirchheim täglich mit dem Bus zur Schule fuhr, hat sie jeden Handgriff der Fahrer studiert, jeden Blick in den Rückspiegel verfolgt und war sich sicher: Eines Tages werde ich es sein, die hinter dem Steuer sitzt.

Der Weg zum Ziel führte über Umwege

Wie im täglichen Verkehr führt auch im Leben der Weg zum Ziel häufig über Umwege. Weil das Mindestalter für den Busführerschein bei 21 Jahren liegt, muss sie ihre Pläne nach Ende der Schulzeit ändern. Sie macht eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten, arbeitet jahrelang in einer Praxis in Esslingen, heiratet und gründet eine Familie, ohne jemals ihr Ziel aus den Augen zu verlieren. Mit 37 Jahren fasst sie sich endlich ein Herz und schult um. Die fünfstellige Summe für den Busführerschein übernimmt zum größten Teil das Jobcenter.

In der Fahrschule sorgt Özlem Akkaya für Aufsehen

In der Fahrschule sorgt die zierliche Frau mit dem Kopftuch am Steuer schnell für Aufsehen. Özlem Akkaya meistert die Prüfung problemlos und findet auf Anhieb einen Ausbildungsbetrieb. Am 2. Januar beginnt ihr Regeldienst bei Omnibus-Verkehr Ruoff (OVR), einem Familienunternehmen mit Sitz in Waiblingen, das im gesamten Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) und darüber hinaus im Einsatz ist. In Kirchheim, wo Özlem Akkaya geboren und aufgewachsen ist, wird sie ihren Bus auf dem Rundkurs vorbei an Limburg und durchs Lenninger Tal steuern – als eine von nur vier Fahrerinnen des Unternehmens in der Männerdomäne im Linienverkehr.

 

Wenn du etwas wirklich willst, dann schaffst du es auch.

Özlem AkkayaDie 37-jährige Türkin hat sich einen Kindheitsrtaum erfüllt.

 

Bianca Scheibeck weiß, was es heißt, mit gewohnten Mustern zu brechen. Als sie vor 24 Jahren anfing, war sie die einzige Frau unter Männern. 2023 wurde die gelernte Kraftverkehrsmeisterin zur Busfahrerin des Jahres im Kreis Esslingen gekürt. Inzwischen ist sie bei OVR zur Disponentin aufgestiegen und verbringt viel Zeit am Schreibtisch. Auf Strecke geht sie immer noch leidenschaftlich gerne und sei es nur, um Berufseinsteiger wie Özlem Akkaya auf ihren ersten Fahrten zu begleiten. „Der Beruf ist anstrengend geworden,“ sagt sie. Mehr Verkehr, Tempo-30-Zonen, die Zeitstress bedeuten oder fehlende Toiletten an Haltepunkten, die für das Fahrpersonal zum echten Problem werden können. Erfahrung bringt nur die Zeit, sagt Scheibeck. Auch Selbstsicherheit im Umgang mit problematischen Fahrgästen. Betrunkenen oder pöbelnden Passagieren hat sie schon häufiger die rote Karte gezeigt – mit und ohne Polizei.

Egal, was die Leute reden

Selbstbewusstes und bestimmtes Auftreten sind wichtig, um Konflikte rechtzeitig zu entschärfen. Özlem Akkaya wird das erst noch lernen müssen. „Ich bin eher der leise, zurückhaltende Typ.“ Die ersten Fahrten mit Begleitung, sagt sie mit einem fröhlichen Lächeln, waren positiv. Die meisten Leute hätten freundlich reagiert. Was im Fahrgastraum über sie geredet wird, interessiert sie nicht. Was zählt: Sie hat ihren Kindheitstraum verwirklicht. Ihr Mann, der als Krankenpfleger arbeitet, die ganze Familie – sie alle sind mächtig stolz auf sie. Was Özlem Akkaya ihrem elfjährigen Sohn mit auf den Weg geben will: „Wenn du etwas wirklich willst, dann schaffst du es auch.“