Zum spanischen Nationalfeiertag, dem „Dia de la Hispanidad“, wird man in Enrique Alcaides Tapas-Restaurant „La Sal“ in Hattenhofen das klassische Rot-Gelb vergebens suchen. „Meine Frau hat mir mal eine Landesfahne aus Spanien mitgebracht, aber ich hab die immer zu Hause vergessen“, sagt der Sohn baskischer Eltern. Seine Frau Brigitte Pallas ist Deutsche und war wohl der Meinung, ihr Mann müsse sich ein wenig heimisch fühlen, fernab von Land seiner Vorfahren.
Doch Heimatgefühle oder gar Nationalstolz sind dem 60-Jährigen fremd. „Ich fühle keine Verbundenheit“, sagt er. Statt Patriotismus ist ihm vor allem die Familie wichtig. „Ich feiere den Geburtstag meiner Tochter, keinen Nationalfeiertag.“ Stolz ist er auf seine Kinder und seinen Neffen Omar Alcaide, der als Jazzmusiker Karriere macht.
Aufgewachsen ist Enrique Alcaide, den alle Welt „Kike“ nennt, in der ehemaligen spanischen Kolonie Äquatorialguinea. Sein Großvater Eustaquio war eine große Persönlichkeit in dem westafrikanischen Land. „Er hat die ersten Straßen dort gebaut“, erzählt Kike stolz. Für seine Dienste ist er mit einer Kaffee- und Teeplantage entlohnt worden. Umgeben war das Land von dichtem Dschungel.
Der Wald hat den kleinen Kike geprägt. Auch war es für ihn normal, Bedienstete zu haben. „Das waren keine Sklaven“, betont er. Bis 1972 blieb die Plantage im Besitz der Familie. Noch heute trägt ein ganzer Stadtteil in der Hauptstadt Malabo den Namen Alcaide. Die Siedlung hatte damals Kikes Großmutter bauen lassen, die Bauunternehmerin war. An Geschichten für lange Tapas-Abende mangelt es bei Kike wahrlich nicht.
Dass sich der insgesamt siebenfache Vater - zwei Kinder hat er, fünf seine Frau mit in die Beziehung gebracht, als Kosmopolit sieht, erscheint angesichts seiner Vita konsequent. Die aktuellen Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien hält er für falsch. „In Zeiten der Globalisierung können sich die Katalanen nicht einfach für unabhängig erklären“, sagt er. Das schaffe nur Instabilität, auch für ausländische Firmen, die in Katalonien aktiv seien. Und es gebe den Artikel 154 der spanischen Verfassung, demzufolge sich keine Region vom spanischen Staat abtrennen kann. Bei Kike schlägt das spanische Temperament durch. „Sie behaupten, Madrid raube sie aus. Also bitte!“ Aber auch gegen spanischen Nationalstolz stellt sich Kike. „Ich bin gegen jede Form von Nationalismus“, sagt er. Spanien sei eine Mischung verschiedener Kulturen, darunter auch die arabische und die der Wikinger.
Erst im Alter von 14 Jahren zog Kike Algaide mit seiner Familie nach Spanien, lebte zunächst zwei Jahre im baskischen San Sebastian und danach in Madrid. Seit seinem 20. Lebensjahr hat es ihm die Baleareninsel Ibiza angetan, wo er unter anderem als Barmann, aber vor allem Surf- und Segellehrer gearbeitet hat. „Hier habe ich in den Diskotheken Leute wie Gunter Sachs oder Ursula Andress kennengelernt“, sagt er. Damals seien die Stars und Jet-Set-Größen zugänglicher gewesen als heute. Vor allem hätten sie sich selbst nicht so wichtig genommen. Ibiza hat für Kike bis heute eine große Bedeutung. Denn hier traf er auch seine heutige Frau Brigitte. Wegen ihr ist der Kosmopolit nach Deutschland gezogen, in Bad Boll heimisch geworden und hat sich in Hattenhofen ein zweites Mal verliebt: In die mehr als 500 Jahre alten Gemäuer seiner heutigen Tapas-Bar - einem alten Bauernhaus. Seit der Eröffnung 2011 hat er das kleine Tapas-Restaurant mit 50 Plätzen als feste Größe etabliert. Am Mittwoch und am Sonntag gibt es bei ihm das spanische Nationalgericht Paella. „Aber man muss vorbestellen“, betont er. Spanien-Kenner wissen: Dieses Gericht braucht Zeit, und die will der Wirt nicht umsonst am Herd verbracht haben.
Kike macht bis heute regelmäßig auf Ibiza Urlaub. Seine nicht mehr ganz so neue Heimat ist aber Deutschland. An den Deutschen schätzt er vor allem die Ehrlichkeit und Demut. „Es fällt mir nicht leicht, dass zu sagen, aber erst hier habe ich Leute kennengelernt, die zu ihrem Wort stehen.“ Auch unter seinen Gästen gebe es wohlhabende Leute, die ebenso bescheiden wie hilfsbereit sind. Kike ist in Deutschland angekommen, auch wenn er die Sprache bis heute - sagen wir mal - sehr frei interpretiert. Aber um ihn und seine Ideale zu verstehen, spielt das keine Rolle. Und dafür lieben ihn die Gäste - mit oder ohne spanische Flagge.